Faltlhauser, Valentin
Nachname:
Faltlhauser
Vorname:
Valentin
Epoche:
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Psychiatrie
Geburtsort:
Wiesenfelden
* 28.11.1876
† 08.01.1961
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Psychiater, Beteiligter an Patientenmorden im Nationalsozialismus 

 

Valentin Faltlhauser (1876-1961) wurde am 28. November 1876 im ländlich geprägten Wiesenfelden in Niederbayern geboren. Die Stellung des Vaters als Gutsverwalter ermöglichte ihm den Besuch des Gymnasiums in Metten und später in Amberg. Nach dem Abitur begann er ein Jura-Studium in München, wechselte aber nach einem Semester zur Medizin und setzte das Studium ab 1899 in Erlangen fort (Pötzl 2012, S. 385 f.). In Erlangen interessiert er sich bald für Psychiatrie und Neurologie. Prägend waren vor allem die beiden Universitätslehrer Adolf Strümpell (1853-1925, Innere Medizin) und Gustav Specht (1860-1940). Letzterer betreute seine 1906 abgeschlossene Dissertation Casuistischer Beitrag zur Chorea Huntington's. Ab 1903 arbeitete Faltlhauser zunächst an der Kreisirrenanstalt in Erlangen als Aushilfs- und Assistenzarzt und wurde 1905 im Rahmen seines Militärdienstes zum Sanitätsoffizier befördert. Von 1914 bis 1918 nahm er als Infanterie-Regimentsarzt am Ersten Weltkrieg teil. Zurück in Erlangen behandelte Faltlhauser sog. „Kriegsneurotiker“.

 

Zeit als Reformpsychiater

Nach dem Krieg richtete der Erlanger Anstaltsdirektor Gustav Kolb (1870-1938) das Konzept der „offenen Fürsorge“ in der Kreisanstalt ein, um die „geschlossene Fürsorge“ systematisch mit ambulanter Nachsorge zu ergänzen (vgl.Ley 2002). Faltlhauser wurde als Oberarzt zu einem prominenten Fürsprecher einer an die Klinik angebundenen „offenen Fürsorge“. Ab 1922 vom Anstaltsdienst freigestellt, setzte er sich dafür in zahlreichen Veröffentlichungen ein (u. a. zusammen mit seinem Mentor Gustav Kolb und seinem Kollegen Hans Roemer (1878-1947). 1927 wurde Faltlhauser in Erlangen stellvertretender Direktor und ab dem 1. November 1929 Direktor der schwäbischen Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren-Irsee. Dort führte er trotz der Weltwirtschaftskrise, der angespannten Situation der öffentlichen Kassen und der zunehmenden Unterfinanzierung der Anstalten ebenfalls die offene Fürsorge ein.

 

Anfang der 1930er Jahre lehnte Faltlhauser eugenisch-bevölkerungspolitische Konzepte noch ab, dies änderte sich jedoch seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Januar 1933. Pötzl (2012, S. 389) definiert drei Elemente, die Faltlhausers Karriere in den folgenden Jahren kennzeichneten: „Erstens die Errichtung einer modernen Psychiatrie, zweitens die Ausrichtung auf Rassenhygiene und Zwangsterilisation und drittens die damit verbundene Identifikation mit dem Nationalsozialismus“. Wie bei anderen Tätern der NS-Psychiatrie dürften auch für Faltlhauser berufsbezogene Geltungsmotive eine bestimmende Rolle für seine Hinwendung zur nationalsozialistischen Rassenhygiene gespielt haben (vgl. dazu Schmuhl 2013). Michael von Cranach (2010, S. 84) führt im Fall von Falthauser folgende Gründe an: „Die nationalsozialistische Idee der Vernichtung der Unproduktiven, vorauseilender Gehorsam in einer extrem hierarchisch organisierten Welt und die damit verbundene Ausschaltung und Übertragung des Gewissens auf die obersten hierarchischen Instanzen, Karrieredenken, finanzielle Anreize, der Wunsch zum innersten Kreis der „Reformer“ zu gehören – dies sind nur einige Aspekte, die im Bedingungsgefüge seiner Täterschaft eine Rolle gespielt haben mögen.“

 

Tätigkeiten zur Zeit des Nationalsozialismus

In Kaufbeuren legte Faltlhauser eine „Erb- und Sippenkartei“ an, gründete eine Ortsgruppe der „Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene“ und sprach sich ab Mitte der 1930er Jahre offen für Zwangssterilisation aus. Er stand in Verbindung mit dem führenden NS-Rassenhygieniker Ernst Rüdin (1874-1952), arbeitete für das Rassenpolitische Amt der NSDAP sowie als Richter am Erbgesundheitsgericht in Kempten (Harms 2010, S. 408). Am 15. August 1940 begann Faltlhausers offizielle Tätigkeit als Gutachter der „Aktion-T4“. Er selektierte für Tötungen vorgesehene Patienten und erstellte die Listen für deren Deportation in die Tötungsanstalten Grafeneck (Baden-Württemberg) oder Hartheim bei Linz (Österreich). Nachdem die „Aktion-T4“ 1941 infolge öffentlicher, vor allem kirchlicher Proteste offiziell eingestellt wurde, entwickelte Faltlhauser sich zu einer treibenden Kraft der folgenden Phase der nationalsozialistischen Mordprogramme in den Anstalten selbst. Auf ihn geht die Entwicklung der kalorienreduzierten „E-Kost“ („Euthanasie-Kost“) zurück, die allein in Bayern zum Tod von schätzungsweise 11.000 Menschen führte (vgl. Klee 2014, S. 415 f.). In Kaufbeuren wurden Menschenversuche durchgeführt und Sonderstationen eingerichtet, in denen Patienten durch Überdosierung von Medikamenten getötet wurden. Für die seit dem 5. Dezember 1941 bestehende „Kinderfachabteilung“ (Schmidt et al. 2012, S. 295) der Anstalt forderte Faltlhauser in Briefen die Zuteilung von „Euthanasie“-erfahrenem Personal an (v. Cranach 2010, S. 84 ff.). Insgesamt wurden in der Abteilung 221 Kinder und Jugendliche getötet. In diesem Zusammenhang ist Faltlhauser auch für den Tod des 14 Jahre alten Ernst Lossa (1929-1944) verantwortlich, der am 9. August 1944 nach der Injektion von Morphium-Skopolamin in der Anstalt verstarb (Schmidt, Kuhlmann, v. Cranach 2012, S. 292; Kolling 2017).

 

Strafverfolgung

Kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges wurde Faltlhauser von Angehörigen der US-Truppen festgenommen. Nach Michael v. Cranach (2010) rechtfertigte Faltlhauser seine Verbrechen vor Gericht mit drei Argumenten: Im „Pflichtbewusstsein“ habe er als Staatsbeamter gelernt, Gesetzen und Anordnungen unbedingt Folge zu leisten und sei deshalb der Überzeugung gewesen, nach den Geboten der Menschlichkeit gehandelt zu haben. Aus „Mitleid“ habe er zudem stets in der Absicht gehandelt, Menschen von Leid zu befreien und sich dabei stets als gewissenhaft handelnder Arzt verstanden. Schließlich führte er den „gesellschaftlichen Konsens an, die Euthanasie sei keine Erfindung der Nationalsozialisten gewesen, sondern habe die Gesundheitspolitik schon seit Jahrzehnten beschäftigt (v. Cranach 2010, S. 85). Im Gerichtsprozess am Landgericht Augsburg wurde Faltlhauser am 30. Juli 1949 wegen Anstiftung zur Beihilfe zum Totschlag in mindestens 300 Fällen zu drei Jahren Haft verurteilt (vgl. Quellen 1, 2, 3), was Ernst Klee (1986a, S. 198) als eine „Strafe von äußerster Milde“ bewertet hat (s. dazu Rüter & de Mildt 2012, S. 175-188, Verfahren Nr. 162, LG Augsburg, Entscheidung Nr. 490730). Das Urteil wurde nach mehrmaliger Aufschiebung wegen angeblicher Haftunfähigkeit und nach einer Begnadigung durch den bayerischen Justizminister 1954 nie vollstreckt (Harms 2010, S. 408). Sieben Jahre später verstarb Valentin Faltlhauser im Alter von 84 Jahren am 8. Januar 1961 in einem Münchener Altersheim (Kolling 2017).

 

Valentin Faltlhauser erkannte unter dem frühen Einfluss von Gustav Kolb und Kollegen wie Hans Roemer das Reformpotential der offenen Fürsorge für die ambulante Ergänzung und damit kostendämpfende Modernisierung des deutschen Anstaltssystems. Seine Hinwendung zur Rassenhygiene nach 1933 und die aktive Kollaboration mit dem NS-Regime zeigen die Zusammenhänge zwischen dem psychiatrischen Modernisierungswillen der Zeit, den ideologischen Angeboten der NS-Bevölkerungspolitik und entsprechenden Gelegenheiten für die Mediziner zur beruflichen Profilierung unter dem NS-Regime. Vor diesem Hintergrund sind Faltlhausers Aussagen vor Gericht zu seiner aktiven Beteiligung an den NS-Mordaktionen als typische Schutzbehauptungen eines Täters zu bewerten. 

 

Aufarbeitung und Gedenken der Opfer

Die historische Aufarbeitung von Faltlhausers Tätigkeit in Kaufbeuren ist insbesondere dem langjährigen ärztlichen Direktor des heutigen Bezirkskrankenhauses Kaufbeuren Micheal von Cranach (geb. 1941) zu verdanken. In zahlreichen Publikationen setzte er sich für das Gedenken an die Patientenmorde in Kaufbeuren und im gesamten süddeutschen Raum ein. Am heutigen Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren und am Kloster Irsee, einer ehemaligen Zweigstelle der Klinik, erinnern heute mehrere Gedenkorte an die Verbrechen zur Zeit des Nationalsozialismus.

 

2008 veröffentlichte Robert Domes den fiktionalisierten biographischen Roman Nebel im August. Die Lebensgeschichte des Ernst Lossa. Das Buch wurde 2016 unter der Regie von

Kai Wessel verfilmt. Sebastian Koch zeichnet darin in der Rolle von Faltlhauser das Bild eines karrierebewussten, gewissenlosen und überzeugten Täters.

 

Quellen

(1) Landgericht Frankfurt, Urteil wegen Euthanasie gegen Pauline Kneissler u.a., 28. Januar 1948; Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/3 T 1 Nr. 1759/03/09. Permalink:http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=6-904690-2.

(2) Oberstaatsanwalt beim Landgericht Frankfurt, Schreiben vom 18. 11. 1948; Staatsarchiv Sigmaringen Wü 29/3 T 1 Nr. 1759/03/09. Permalink:http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=6-904690-31.

(3) Staatsarchiv Augsburg: Best. Staatsanwaltschaft Augs­burg KS 1/ 49, Band I-VIII.

 

Literatur

Braunschweig, S. (2013): Zwischen Aufklärung und Betreuung. Berufsbildung und Arbeitsalltag der Psychiatriepflege am Beispiel der Basler Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt, 1886-1960. Zürich: Chronos.

Cranach, M. v. (2010): Mitwissen und Kooperation. Die Haltung der Anstaltspsychiatrie. In: M. Rotzoll (Hg.): Die nationalsozialistische „Euthanasie"-Aktion „T4" und ihre Opfer. Geschichte und ethische Konsequenzen für die Gegenwart. Paderborn: Schönigh, S. 83-90.

Cranach, M. v., H. L. Siemen (1999, Hg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayeri­schen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945. München: Oldenbourg.

Faltlhauser, V. (1906). Casuistischer Beitrag zur Chorea Huntington's. Inaufuraldissertation zur Erlangung der medizinischen Doktorwürde der hohen medizinischne Fakultät der Friedrich-Alexanders-Universität zu Erlangen.

Faltlhauser, V. (1923): Geisteskrankenpflege. Ein Lehr- und Handbuch zum Unterricht und Selbstunterricht für Irrenpfleger und zur Vorbereitung auf die Pfle­gerprüfung. Halle: Marhold.

Falthauser, V. (1927): Die Fürsorgeorgane. In: H. Roemer, G. Kolb, V. Falthauser (Hg.): Die offene Fürsorge in der Psychiatrie und ihren Grenzgebieten. Berlin: Springer, S. 199-228.

Faltlhauser, V. (1931): Offene Psychiatrische Fürsorge von der Anstalt aus in die Großstadt. In: O. Bumke, G. Kolb, H. Roemer, E. Kahn (Hg.): Handwörterbuch der psychischen Hygiene und der psychiatrischen Fürsorge. Berlin, Leipzig: De Gruyter, S. 123-127

Faltlhauser, V. (1934): Erbpflege und Rassenpflege. Halle: Marhold.

Faltlhauser, V. (1939): Kurzer Leitfaden der allgemei­nen Krankenpflege. Halle: Marhold.  

Heuvelmann, M. (2013): Wer in einer Gottesferne lebt, ist im Stande, jeden Kranken wegzuräumen. Geistliche Quellen zu den NS-Krankenmorden in der Heil- und Pflegeanstalt Irsee. Irsee: Grizeto. 

Klee, E. (1986, Hg.): Dokumente zur Euthanasie. Frankfurt am Main: Fischer. 

Klee, E. (1986a): Was sie taten, Was sie wurden. Ärzte, Juristen und andere Beteiligte am Kranken- und Ju­denmord. Frankfurt am Main: Fischer.

Klee, E. (2001): Deutsche Medizin im Dritten Reich. Kar­rieren vor und nach 1945. Frank­furt am Main: Fischer.

Klee, E. (2003): Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt am Main: Fischer. 

Klee, E. (2014): Euthanasie im Dritten Reich. Die Ver­nichtung lebensunwerten Lebens. Vollständig überarbeitete Neuausgabe. Frankfurt am Main: Fischer.

Kolling, H. (2017): Faltlhauser, Valentin. In: H. Kolling (Hg.): Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte. „Who was who in Nursing history“. Bd. 7. Berlin, Wiesbaden: hpsmedia, S. 75-80.

Kolling, H. (2017a): Heichele, Paul. In: H. Kolling (Hg.): Biographisches Lexikon zur Pflegegeschichte. „Who was who in Nursing history“. Bd. 7. Berlin, Wiesbaden: hpsmedia, S. 109-114.

Ley, A. (2002): Die Verminderung der Hausbesuche erklärt sich durch die anderweitige Inanspruchnahme der Fürsorgeärzte. Zu den Auswirkungen des Sterilisationsgesetzes auf die Offene Fürsorge für Geisteskranke. In: S. Stöckel, U. Walter (Hg.): Prävention im 20. Jahrhundert. Weinheim: Juventa, S. 122-135.

Mitscherlich, A., F. Mielke (1962, Hg.): Medi­zin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnber­ger Ärzteprozesses. Frankfurt am Main: Fischer. 

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Pötzl, U. (2012): Dr. Valentin Faltlhauser. Reformpsy­chiatrie, Erbbiologie und Lebensvernichtung. In: Cranach, M. v., H. L. Siemen (Hg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die Bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945. München: Oldenbourg, S. 385-403.

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Roemer, H., G. Kolb, V. Falthauser (Hg.): Die offene Fürsorge in der Psychiatrie und ihren Grenzgebieten. Berlin: Springer.

Römer, G. (1986): Die grauen Busse in Schwaben. Wie das Dritte Reich mit Geisteskranken und Schwan­geren umging. Berichte, Dokumente, Zahlen und Bilder. Augsburg: Wißner. 

Rüter, C. F.; de Mildt, D.W. (2012): Justiz und NS-Verbrechen, Bd. V, Verfahren Nr. 148 - 190 (1949), hier Nr. 162: Faltlhauser, Valentin. Amsterdam: University of Amsterdam, S. 175-188.

Schmidt, M., Kuhlmann, R., M. v. Cranach (2012): Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren. In: M. v. Cranach; L. Siemen (Hg.): Psychiatrie im Nationalsozialismus. Die bayerischen Heil- und Pflegeanstalten zwischen 1933 und 1945. München: Oldenbourg, S. 265-325.

Schmuhl, H.-W. (2013): Psychiatrie und Politik. Die Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater im Nationalsozialismus. In: C. Wolters, C. Beyer, B. Lohff (Hg.): Abweichung und Normalität. Psychiatrie in Deutschland vom Kaiserreich bis zur Deutschen Einheit. Bielefeld: transcript, S. 137-157.

Thom, A.; G. Ivanovič (1989, Hg.): Medizin unterm Hakenkreuz. Berlin: Volk und Gesundheit.

 

Gereon Frederick Breuer

 Foto: Copyright, Historisches Archiv des Bezirkskrankenhaus Kaufbeuren.

 

Zitierweise
Gereon F. Breuer (2020): Faltlhauser, Valentin.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/279-faltlhauser-valentin
(Stand vom:17.11.2024)