- Nachname:
- Rüdin
- Vorname:
- Ernst
- Epoche:
- 19. Jahrhundert
20. Jahrhundert - Arbeitsgebiet:
- Psychiatrie
Politik - Geburtsort:
- St. Gallen (CHE)
- * 19.04.1874
- † 22.10.1952
Rüdin, Ernst
Schweizer Psychiater und NS-Rassenhygieniker.
Ernst Rüdin (1874-1952) wurde in St. Gallen als Sohn eines Kaufmanns und einer Ärztin geboren. Bereits als Jugendlicher entwickelte er ein ausgeprägtes Interesse für „die Entstehung der Rassenhygiene als deutscher Form des Sozialdarwinismus” (Weber 1996, S. 412), unterstützt durch seinen Schwager und Begründer der Rassenhygiene Alfred Plötz.
Ab 1893 studierte er in verschiedenen europäischen Ländern Medizin, das Staatsexamen absolvierte er 1898 in Zürich. Rüdin begann zunächst als Assistent an der psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (Burghölzli) bei Eugen Bleuler. 1905 war er Mitbegründer der Deutsche Gesellschaft für Rassenhygiene. 1907 wechselte er zu Emil Kraepelin an die psychiatrische Universitätsklinik München. Dort habilitierte er sich, wurde 1909 Oberarzt und ab 1915 außerordentlicher Professor für Psychiatrie. Im Zuge der Gründung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie (DFA) in München wurde Rüdin 1917 zum Leiter der Genealogisch-Demographischen-Abteilung ernannt. 1916 versuchte er mit einer damals neuen statistischen Methodik die Erblichkeit von Schizophrenie nach den Mendelschen Gesetzen nachzuweisen (Vererbung und Neuentstehung der Dementia praecox). Ab 1925 hatte er kurzzeitig den Lehrstuhl für Psychiatrie der Universität Basel inne, ging jedoch aufgrund von Förderzusagen 1928 zurück nach München; zunächst in alter Stellung, ab 1931 dann als Direktor der DFA.
Laufbahn ab 1933
Von 1932 bis 1936 war Rüdin Präsident der International Federation of Eugenic Organizations. 1937 trat er der NSDAP bei. Bereits ab 1933 kollaborierte Rüdin mit den Nationalsozialisten, unter anderem wurde er Kommissar des Reichsinnenministeriums für Rassenhygiene und Rassenpolitik und 1934 Richter am Erbobergesundheitsgericht. Rüdin (1934; 1935) wirkte an der Formulierung des 1933 verabschiedeten Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses mit, unterstützte entsprechende reichsweite Datenerhebungen, stand in Kontakt mit den Koordinatoren der Patientenmorde ab 1939 (z.B. Paul Nitsche), war über die „Aktion T4“ informiert, behinderte kollegiale Proteste (z.B. von Hans Roemer), und förderte die Forschung mit Gehirnen von getöteten Kindern in Heidelberg (Roelcke 2012, S. 307 ff.).
Ernst Rüdin ist einer der hauptverantwortlichen Forscher – und damit auch Täter –, die zur Legitimation der nationalsozialistischen Sterilisierungs- und Tötungsaktionen beitrugen. Nach Kriegsende wurden ihm alle Ämter sowie die Schweizer Staatsbürgerschaft entzogen. Im Entnazifierungsverfahren 1948/49 rechtfertigte er sich mit einer gängigen Schutzbehauptung, rein als Wissenschaftler ohne ideologische Absichten gearbeitet zu haben (Weber 1993). Er wurde unter anderem nach entlastenden Aussagen von Max Planck als „Mitläufer“ eingestuft und starb 1952.
Auszeichnungen
1939: Goethe-Medaille für Kunst und Wissenschaft.
1944: Adlerschild des Deutschen Reiches.
Literatur
Ley, A. (2004): Zwangssterilisation und Ärzteschaft. Hintergründe und Ziele ärztlichen Handelns 1934-1945. Frankfurt am Main: Campus.
Peters, U. H. (1996): Ernst Rüdin – ein Schweizer Psychiater als ,,Führer" der Nazipsychiatrie – die ,,Endlösung" als Ziel. In: Fortschritte der Neurologie und Psychiatrie 64, (9), S. 327-343.
Roelcke, V. (2013): Die Etablierung der psychiatrischen Genetik. In: C. Wolters, C. Beyer, B. Lohff (Hg.): Abweichung und Normalität. Psychiatrie in Deutschland vom Kaiserreich bis zur Deutschen Einheit. Bielefeld: transcript, S. 111-135.
Roelcke, V. (2012): Ernst Rüdin – renommierter Wissenschaftler, radikaler Rassenhygieniker. In: Der Nervenarzt 83, (3), S. 303-310.
Roelcke, V. (2002): Programm und Praxis der psychiatrischen Genetik an der "Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie" unter Ernst Rüdin: Zum Verhältnis von Wissenschaft, Politik und Rasse-Begriff vor und nach 1933. In: Medizinhistorisches Journal 37, (1), S. 21-55.
Rüdin, E. (1901): Über die klinischen Formen der Gefängnispsychosen. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Grades Doctor rerum medicarum des Fachbereichs Humanmedizin der Universität Zürich.
Rüdin, E. (1909): Über die klinischen Formen der Seelenstörungen bei zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe Verurteilten. Habilitationsschrift zur Erlangung der Venia legendi des Fachbereichs Humanmedizin der Universität München.
Rüdin, E. (1916): Zur Vererbung und Neuentstehung der Dementia praecox. Berlin: Springer.
Rüdin, E. (1930): Psychiatrische Indikation zur Sterilisierung. In: Das kommende Geschlecht 5, (3), S. 1-19.
Rüdin, E. (1930a): Die Bedeutung der Eugenik und Genetik für die Psychische Hygiene. In: Zeitschrift für psychische Hygiene 3, S. 133-147.
Rüdin, E. (1934, Hg.): Erblehre und Rassenhygiene im völkischen Staat. München: J. F. Lehmanns Verlag.
Rüdin, E., A. Gütt, F. Ruttke (1934, Hg.): Zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. Gesetz und Erläuterungen. München: J. F. Lehmanns Verlag.
Rüdin, E. (1935): Über das deutsche Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933. In: Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie 35, S. 190-192.
Rüdin, E., O. Bumke, O. Foerster, H. Spatz (1939, Hg.): Studien über Vererbung und Entstehung geistiger Störungen. Berlin: Springer.
Schmuhl, H.-W. (2003): Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933. Göttingen: Wallstein.
Weber, M. (1993): Ernst Rüdin. Eine kritische Biographie. Berlin, Heidelberg, New York: Springer.
Weber, M. (1996): Harnack-Prinzip oder Führerprinzip? Erbbiologie unter Ernst Rüdin an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München. In: B. Vom Brocke, H. Laitko (Hg.): Die Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft und ihre Institute. Das Harnack-Prinzip. Berlin: De Gruyter, S. 409-422.
Julian Schwarz, Burkhart Brückner
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Zitierweise
Julian Schwarz, Burkhart Brückner (2015):
Rüdin, Ernst.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL:
biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/131-ruedin-ernst
(Stand vom:02.11.2024)