Roemer, Johannes Paul Günther
Nachname:
Roemer
Vorname:
Johannes Paul Günther
Epoche:
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Neurologie
Psychiatrie
Geburtsort:
Pfrondorf (DEU)
* 02.08.1878
† 01.12.1947
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Deutscher Psychiater, Gegner der NS-Krankentötungen.

 

Johannes Paul Günther („Hans“) Roemer (1878-1947) wurde in Pfrondorf bei Stuttgart als Sohn des Pfarrers Julius Friedrich Heinrich Roemer geboren. Er setzte sich für Eugenik und Sterilisationspolitik ein, wurde aber zum Gegner der NS-Patiententötungen.

 

Studium und Berufsweg

Nach dem Abitur 1897 am Karls-Gymnasium in Stuttgart wurde Hans Roemer in das Feldartillerie Regiment 13 (Cannstatt) eingezogen, bevor er ab 1898 in Tübingen und Kiel Medizin studierte und von 1901 bis 1902 als Assistent am pathologischen Institut der Universität Tübingen arbeitete. Weitere Stationen waren die Zeiten als Assistenzarzt im Infanterieregiment Nr. 125 (Stuttgart) sowie 1903/04 an der Anstalt Schussenried. Roemer promovierte 1904 in Tübingen mit dem Thema Über die histologischen Initialveränderungen bei Lungenphthise und ihre Verwertung für die Theorie des Infektionsweges. Nach Assistenzen an der Psychiatrischen Nervenklinik der Universität Leipzig und an der Heil- und Pflegeanstalt Illenau (1905/06) heiratete Roemer 1907 Hedwig Buschle, mit der er zwei Söhne bekam. 1908 wurde er Anstaltsarzt und ab 1914 Oberarzt der Pflegeanstalt Illenau. Im Ersten Weltkrieg war er Militärarzt der Reichswehr in Feldlazaretten in Belgien und Frankreich und von 1916 bis 1918 im Reservelazarett der Heidelberger Klinik. Zwischen 1918 und 1921 arbeitete er als Oberarzt und stellvertretender Direktor im Reservelazarett Reichenau sowie als Chefarzt im Sonderlazarett an der Heil- und Pflegeanstalt Konstanz.

 

Im Frühjahr 1926 wurde Roemer Geschäftsführer des Deutschen Verbandes für psychische Hygiene und arbeitete von 1921 bis 1929 als Obermedizinalrat im badischen Ministerium des Innern. In dieser Funktion wurde Roemer (1931) zu einem profilierten Vertreter von präventiven und ambulanten Versorgungskonzepten. 1927 gab er zusammen mit Gustav Kolb und Valentin Faltlhauser das Standardwerk Die offene Fürsorge in der Psychiatrie und ihren Grenzgebieten heraus. Ab Januar 1929 erhielt er seine Lebensstellung als Direktor der traditionsreichen Illenauer Anstalt bis zu seiner vorzeitigen Pensionierung 1940. Von September 1943 bis Oktober 1945 arbeitete er in der Göppinger Privatklinik Christophsbad.

 

Nationalsozialismus: Mitwirkung und Widerstand

Ab September 1933 gehörte Roemer dem Vorstand des Deutschen Vereins für Psychiatrie an, war aber laut Roelcke (2013, S. 1064) „kein grundsätzlicher Gegner des Regimes oder dessen radikaler eugenisch inspirierter Gesundheits- und Sozialpolitik“. Anfang der dreißiger Jahre vertrat Roemer (1931, S. 312), wie viele seiner Kollegen, eugenische Indikationen, um „die Erbanlagen zu den psychischen Erkrankungen und den sozial minderwertigen Psychopathien von der Fortpflanzung auszuschalten“. Am 1. Mai 1933 trat er der NSDAP bei. In den folgenden Jahren kooperierter eng mit dem Rassenhygieniker Ernst Rüdin, etwa zur Gleichschaltung der Fachgesellschaften oder der rassenhygienischen Schulung von Anstaltsleitern 1934 und bei der Durchführung von erbbiologischen Bestandsaufnahmen in den Kliniken.

 

Obwohl Roemer in der Fachöffentlichkeit als entschiedener Befürworter der Rassenhygiene wahrgenommen wurde, verweigerte er sich dem Tötungsprogramm der Nazis wie sonst nur wenige Anstaltsleiter. Im Dezember 1939 informierte ihn das badische Innenministerium über Pläne zur „Liquidation“ von Patienten. Roemer lehnte dies ab und versuchte erfolglos, Kollegen für den Protest zu mobilisieren und die ab Mai 1940 in der Illenau anlaufenden Deportationen zu verhindern. Von den dort 1939 untergebrachten Insassen wurden 39 % ermordet. Die im Vergleich zu anderen badischen Anstalten verhältnismäßig geringe Quote lässt sich möglicherweise auf die von Roemer erreichten mehrfachen Verzögerungen bei den Deportationen zurückführen. Durch Krankschreibungen entzog er sich der aktiven Mitwirkung an den Selektionen, mit denen ihn das Innenministerium beauftragt hatte, bevor er im Oktober 1940 den Frühruhestand beantragte (Roelcke 2013, S. 1067). An der Privatklinik Christophsbad soll er weiter gegen Deportationen opponiert haben (Plezko 2011, S. 251 f.). Im Verfahren zur  Entnazifierung wurde er 1947 als „Mitläufer“ eingestuft. Knapp zwei Wochen später starb Hans Roemer im Alter von 69 Jahren an einem Schlaganfall in Stuttgart.

 

Literatur

Plezko, A. (2011): Handlungsspielräume und Zwänge in der Medizin Im Nationalsozialismus: Das Leben und Werk des Psychiaters Dr. Hans Roemer (1878-1947). Inauguraldissertation zur Erlangung des Grades eines Doktors der Zahnmedizin des Fachbereichs Medizin der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Roelcke, V. (2013): Hans Roemer (1878–1947). Überzeugter Eugeniker, Kritiker der Krankentötungen. In: Der Nervenarzt 84, (9), S.1064-1068.

Roemer, H., G. Kolb, V. Faltlhauser (1927): Die offene Fürsorge in der Psychiatrie und ihren Grenzgebieten. Ein Ratgeber für Ärzte, Sozialhygieniker, Nationalökonomen, Verwaltungsbeamte sowie Organe der öffentlichen und privaten Fürsorge. Berlin: Springer.

Roemer, H. (1927): Zur geschichtlichen Entwicklung. In: H. Roemer, G. Kolb, V. Faltlhauser (Hg.): Die offene Fürsorge in der Psychiatrie und ihren Grenzgebieten. Berlin: Springer, S. 3-21.

Roemer, H. (1931): Psychische Hygiene. In: O. Bumke, G. Kolb, H. Roemer, E. Kahn (Hg.): Handwörterbuch der psychischen Hygiene und der psychiatrischen Fürsorge. Leipzig: De Gruyter, S. 296-313.

Roemer, H. (1934): Der erbbiologisch-rassenhygienische Lehrgang für Psychiater in München. In: Zeitschrift für psychische Hygiene 7, (1), S. 2-6.

Roemer, H. (1935): Die Durchführung und weitere Ausgestaltung des Sterilisierungsgesetzes. In: Zeitschrift für psychische Hygiene 8, (5), S. 131-141.

Roemer, H. (1937): Die Veröffentlichungen über die Insulin-Behandlung der Schizophrenie. In: Zeitschrift für psychische Hygiene 10, (1), S. 23-29.

 

Ansgar Fabri, Burkhart Brückner

 

Zitierweise
Ansgar Fabri, Burkhart Brückner (2015): Roemer, Johannes Paul Günther.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/129-roemer-johannes-paul-guenther
(Stand vom:26.12.2024)