Alzheimer, Aloysius
Nachname:
Alzheimer
Vorname:
Aloysius
Epoche:
19. Jahrhundert
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Neurologie
Psychiatrie
Geburtsort:
Marktbreit (DEU)
* 14.06.1864
† 19.12.1915
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Deutscher Psychiater, Neuropathologe und Erstbeschreiber der Alzheimer-Krankheit.

 

„Alois“ Alzheimer (1864 -1915) kam in Marktbreit am Main als Sohn des Notars Eduard Alzheimer und dessen zweiter Ehefrau Theresia zur Welt. Alzheimers Vater hatte bereits einen Sohn aus erster Ehe; sechs weitere Kinder folgten, von denen Alois Alzheimer der älteste war (Toodayan 2016; Blatt 2012, S. 346 ff.; Hippius 2003, S. 102). Nach dem Abitur 1883 in Aschaffenburg studierte er Medizin in Berlin, Würzburg, Freiburg und Tübingen. Alzheimer bestand 1888 das Staatsexamen und promovierte im selben Jahr zum Thema Über die Ohrenschmalzdrüsen. Er arbeitete anschließend ein Semester lang am Anatomischen Institut Würzburg bei Albert Kölliker (1817-1905) sowie an der Städtischen Irrenanstalt Frankfurt am Main unter Emil Sioli (1852-1922). Dort war er zunächst als Assistenzarzt und später als Oberarzt tätig (Blatt 2012, S. 22 ff.). Sioli beeinflusste Alzheimer stark, gemeinsam wurden neue Behandlungsmethoden eingeführt. Hierbei sollte auf Zwangsmaßnahmen verzichtet werden (Zwangsjacken, Isolierzimmer), demgegenüber wurden Beschäftigungsangebote und die Möglichkeit zu Spaziergängen eingeführt (Blatt 2012, S. 67 ff.; Hippius 2003, S. 102 f.).

 

1894 heiratete Alzheimer Cecilie Geisenheimer (geb. Wallerstein). 1895 wurde Tochter Gertrud geboren, es folgten die Kinder Hans (geb. 1896) und Maria (geb. 1900). 1901 erkrankte Alzheimers Frau und verstarb kurze Zeit später. Um seine Trauer zu bewältigen, widmete sich Alzheimer noch intensiver seiner Arbeit (Hippius 2003, S. 103; Maurer 2009).

 

Alzheimer in Heidelberg, München und Breslau

1902 wechselte er an die Psychiatrische Universitätsklinik Heidelberg zu Emil Kraepelin (1856-1926) und forschte zur progressiven Paralyse, zur Arteriosklerose des Gehirns, zum Alkoholismus und zur Epilepsie. Zudem war er forensisch tätig (Maurer 1997, S. 1546). 1903 folgte er Kraepelin nach München und habilitierte sich 1904 mit der Arbeit Histologische Studien zur Differentialdiagnose der Progressiven Paralyse. In München, dem damaligen Zentrum der Neuropathologie, arbeite Alzheimer bis 1912. Dort baute er ein hirnanatomisches Labor auf, in welchem er u.a. Präparate seiner Frankfurter Zeit untersuchte (Thiel 2006, S. 16). Diese Untersuchungen führten zur Entdeckung der „Alzheimerschen Krankheit“.

 

1912 übernahm Alzheimer die Nachfolge Karl Bonhoeffers (1868-1948) als Professor an der Friedrich-Wilhelm-Universität und Direktor der „Königlich Psychiatrischen und Nervenklinik“ in Breslau. Ein Jahr später erkrankte er an einer schweren Infektion, die sein Herz angriff. Er erholte sich nur schwer, 1915 verschlechterte sich sein Zustand. Alzheimer starb am 19. Dezember 1915 im Kreis seiner Familie in Breslau (Hippius 2003, S. 107).

 

Der Fall Auguste D.

Bereits 1901 hatte Alzheimer die Patientin Auguste Deter (1850-1906) untersucht. Sie hatte ein normales Leben geführt, war verheiratet und hatte eine Tochter. Ihr Mann brachte sie in die Frankfurter Heilanstalt, da sich ihre Persönlichkeit in den letzten Jahren stark verändert habe. Sie hatte begonnen, Gegenstände zu verstecken, konnte einfache Aufgaben im Haushalt nicht mehr verrichten und fühlte sich verfolgt. Bei Befragungen schien sie geistig schwer verwirrt ohne zeitliche und örtliche Orientierung. Sie konnte sich kaum an ihre Vergangenheit erinnern, antwortete häufig ohne Bezug zum Gefragten (Alzheimer 1907, S. 146 ff.), ihre Stimmung wechselte zwischen Angst, Misstrauen, Ablehnung und Weinerlichkeit. Alzheimer hatte bereits früher verwirrte Patienten betreut, diese waren zumeist sehr viel älter. Auguste D. war jedoch bei ihrer Aufnahme erst 51 Jahre alt (Thiel 2006, S. 16 f.). 1906 verstarb sie an eine durch Dekubitus (Wundliegen) verursachte Blutvergiftung. Alzheimer ließ sich ihre Krankenakte sowie ihr Gehirn nach München senden und fand einen kortikalen Abbau mit Eiweißablagerungen in der Hirnrinde (Alzheimer 1907, S. 146 ff.). Im November 1906 berichtete Alzheimer über die auffälligen neuronalen Veränderungen bei seiner Patientin auf einer Fachtagung in Tübingen (Maurer 1997, S. 1546; Alzheimer 1907, S. 146 ff). 1907 veröffentlichte er den Beitrag Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde in der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie. Kraepelin (1910, S. IX u. 624 ff.) nannte diese präsenile Demenz einige Jahre später „Alzheimersche Krankheit“.

 

Alzheimer beschrieb erstmals auf der Grundlage mikroskopischer Befunde die zu fortschreitendem Gedächtnis- und Persönlichkeitsverlust führenden Hirnveränderungen bei Demenz vom „Typ Alzheimer“ (vgl. Cipriani, Danti & Carlesi 2016). Seine Leistung basierte auf präzisen neuroanatomischen Beschreibungen: „Diese Beobachtung wird uns nahe legen müssen, daß wir uns nicht damit zufrieden geben sollen, irgend einen klinisch unklaren Krankheitsfall in eine der uns bekannten Krankheitsgruppen unter Aufwendung von allerlei Mühe unterzubringen. Es gibt ganz zweifellos viel mehr psychische Krankheiten, als sie unsere Lehrbücher aufführen. In manchen solchen Fällen wird dann eine spätere histologische Untersuchung die Besonderheit des Falles feststellen lassen. Dann werden wir aber auch allmählich dazu kommen, von den großen Krankheitsgruppen unserer Lehrbücher einzelne Krankheiten klinisch abzuscheiden und jene selbst klinisch schärfer zu umgrenzen“ (Alzheimer 1907, S. 148).

 

Erst 1995 wurde das Krankenblatt von Auguste Deter im Archiv der psychiatrischen Klinik in Frankfurt am Main von Konrad Maurer (Maurer & Maurer 2009) wiedergefunden (Hippius 2003, S. 106; Graeber 1999).

 

Literatur

Alzheimer, A. (1904): Histologische Studien zur Differentialdiagnose der Progressiven Paralyse. Jena: G. Fischer.

Alzheimer, A. (1907): Über eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 64, (1), S. 146-148.

Alzheimer, A. (1911): Über eigenartige Krankheitsfälle des späteren Alters. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 4, (1), S. 356-385.

Alzheimer, A. (1913): 25 Jahre Psychiatrie. In: European Archives of Psychiatry and Clinical Neuroscience 52, (3), S. 853-866.

Alzheimer, A. (1915): Der Krieg und die Nerven. Berlin: Preuß & Jünger.

Bick, K. L., L. Amaducci (1987, Hg.): The Early Story of Alzheimer's Disease. Translation of the Historical Papers by Alois Alzheimer, Oskar Fischer, Francesco Bonfiglio, Emil Kraepelin, Gaetano Perusini. Padua: Liviana.

Blatt, L. (2012): Über Alois Alzheimers Werk und Leben (1864-1915). Inauguraldissertation, Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaften. Frankfurt am Main.

Cipriani, G., S. Danti, C. Carlesi (2016): Three men in a (same) boat: Alzheimer, Pick, Levy. Historical notes. In: European Geriatric Medicine 7, (6), S. 526-530.

Goedert, M., B. Ghetti (2007): Alois Alzheimer: his life and times. In: Brain Pathology 17, (1), S. 57-62.

Graeber, M. B. (1999): No man alone. The rediscovery of Alois Alzheimer's original cases. In: Brain Pathology 9, (2), S. 237-240.

Hippius, H., G. Neundörfer (2003): The discovery of Alzheimer's disease. In: Dialogues in Clinical Neuroscience 5, (1), S. 101-108.

Jürgs, M. (2006): Alzheimer. Spurensuche im Niemandsland. München: Bertelsmann.

Kraepelin, E. (1910): Psychiatrie. Ein Lehrbuch für Studierende und Ärzte. 8. Auflage. II. Bd., Klinische Psychiatrie, I. Teil. Leipzig: Barth.

Kreuter, A. (1996): Deutschsprachige Neurologen und Psychiater. Ein biographisch-bibliographisches Lexikon von den Vorläufern bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Bd. 1. München: Saur, S. 31-34.

Maurer, K., S. Volk, H. Gerbaldo (1997): Auguste D. and Alzheimer‘s disease. In: The Lancet 349, S. 1546-1549.

Maurer, K., U. Maurer (1998): Alzheimer. Das Leben eines Arztes und die Karriere einer Krankheit. München: Piper.

Maurer, K., U. Maurer (2009): Alois Alzheimer. 1864-1915. Leben und Werk in Wort und Bild. Marburg: Pre Press.

Maurer, K., U. Maurer (2009): Alzheimer und Kunst. Carolus Horn – Wie aus Wolken Spiegeleier werden. Frankfurt am Main: Frankfurt Academic Press.

Meyer, J. E. (1961): Alois Alzheimer. Stuttgart: Thieme.

Schachter, A. S. et al. (2000): Alzheimer's disease. In: Dialogues in Clinical Neuroscience 2, (2), S. 91-100.

Thiel, van D. (2006, Hg.): 20 Jahre Alzheimer Gesellschaft München e.V. – Festschrift. München: Müller.

Toodayan, N. (2016): Professor Alois Alzheimer (1864-1915): Lest we forget. In: Journal of Clinical Neuroscience 31, (9), S. 47-55.

Wichelhaus, B. (2002): Das Oeuvre von Carolus Horn aus künstlerischer und kunsttherapeutischer Perspektive – „ein Alzheimerpatient macht Karriere“. In: Zeitschrift für Musik-, Tanz- und Kunsttherapie 13 (3), S. 123–128.

Zilka, N., M. Novak (2006): The tangled story of Alois Alzheimer. In: Bratislavske lekarske listy 107, (9/10), S. 343-345.

 

Ansgar Fabri, Annette Baum

 

Foto: Bonio; cropped detail by Nolanus / Quelle: Wikimedia / Lizenz: CC BY-SA 3.0

 

Zitierweise
Ansgar Fabri, Annette Baum (2017): Alzheimer, Aloysius.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/101-alzheimer-aloysius
(Stand vom:20.12.2024)