- Nachname:
- Hoche
- Vorname:
- Alfred Erich
- Epoche:
- 20. Jahrhundert
- Arbeitsgebiet:
- Neurologie
Psychiatrie - Geburtsort:
- Wildenhain (DEU)
- * 01.08.1865
- † 16.05.1943
Hoche, Alfred
Psychiater und Neurologe, Vordenker der NS-Patiententötungen.
(Psd. Alfred Erich). Alfred Erich Hoche (1865-1943) wuchs in einer evangelischen Pfarrersfamilie in Sachsen auf, bevor er später Medizin in Berlin und Heidelberg studierte. Nach seiner Assistenzarztzeit wechselte er 1890 nach Straßburg, wo er sich für das Fach Psychiatrie habilitierte. Dort lernte er seine Frau Hedwig Goldschmidt kennen, das Paar hatte einen Sohn (Ernst, geb. 1896), der 1914 im ersten Weltkrieg fiel. 1902 nahm Hoche einen Ruf als Direktor der psychiatrischen Klinik der Universität Freiburg im Breisgau an. 1917 engagierte er sich – ähnlich wie Emil Kraepelin in Bayern – für die neugegründete rechtsextreme Deutsche Vaterlandspartei (DVLP; Hardy 2013). Am 21. Oktober 1917 hielt er den Hauptvortrag auf der ersten öffentlichen Sitzung des Trägervereins der Partei in Heidelberg (Mommsen & Hübinger 1984, S. 767). 1920 veröffentlichte Hoche unter dem Pseudonym „Alfred Erich“ den Gedichtband Deutsche Nacht, 1921 folgte der Band Narrenspiel.
Tätigkeit als Mediziner
In den ersten Dekaden seiner medizinischen Tätigkeit widmete Hoche sich der Erforschung von Hirnpathologien und wurde durch seine Entdeckungen zu Rückenmarksfasern bekannt. In einer Selbstdarstellung von 1923 zählte Hoche (1923/2004, S. 139 ff.) zu seinen herausragenden Leistungen Studien zur Neurologie (Struktur und Verlauf von Nervenbahnen, Neuronenlehre, Augennerven, Rückenmark), zur Physiologie (Nervenreizbarkeit bei „frisch“ Hingerichteten, vgl. Hoche 1934, S. 226 ff.), zur pathologischen Anatomie (Rückenmarksentzündungen) sowie zur progressiven Paralyse und zur forensischen Psychiatrie.
Die Psychoanalyse fasste Hoche (1923/2004, S. 141) als „kulturgeschichtlich interessante Verirrung“ und „Sektenlehre“ mit „schädlichen“ Praktiken auf und rühmte sich, von Freud als „böser Geist" bezeichnet worden zu sein (vgl. Freud 1914, S. 68). Zur Psychiatrie erklärte Hoche (1923/2004, S. 143): „Für mich ist das Kapitel der Geistesstörungen niemals, wie für viele andere, etwas Selbständiges, Abseitiges, Isoliertes gewesen. Ich kann in ihnen nur einen Sonderfall in der Reihe der Erkrankungen des Zentralnervensystems erblicken, bei dem gewisse bürgerliche Folgen des Krankseins zu einer innerlich unberechtigten Sonderstellung geführt haben.“ Dennoch lehnte Hoche (1923, S. 145 f.) Vorstellungen von der „Beziehbarkeit der Einzelsymptome von Geistesstörungen auf bestimmte greifbare Hirnveränderungen“ ab, da das Seelische „als eine in sich geschlossene, durchaus eigenartige Erscheinung eine ganz neue Kategorie“ darstelle.
Obgleich Hoche das Ordinariat für Psychiatrie in Freiburg bekleidete, veröffentlichte er nur wenig psychiatrische Arbeiten im engeren Snne. Aus dem Vortrag Die Bedeutung der Symptomenkomplexe in der Psychiatrie (1912) wird seine ablehnende Haltung zu Kraepelins Krankheitskonzepten deutlich. Er kritisierte u. a. die fehlende spezifische Beziehung zwischen psychiatrischer Krankheitsursache, Hirnpathologie und klinischer Symptomatik und hielt Kraepelins Thesen über die Existenz „natürlicher Krankheitseinheiten" für falsch.
Rechtfertigung von Patiententötungen
Hoches Mitwirken an der 1920 zusammen mit dem Juristen Karl Binding publizierten Schrift Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form macht ihn zum geistigen Wegbereiter der nationalsozialistischen Patiententötungen: In dem 17-seitigen Abschnitt Ärztliche Ausführungen legte er dar, warum Ärzte zur Patiententötung berechtigt seien: Betroffene bestimmter psychischer Störungen bezeichnete er als „geistige Tote“, „Ballastexistenzen“ oder „leere Menschenhülsen“ und schlug deren mitleidlose Tötung vor, sofern sie unheilbar erkrankt seien und einen hohen pflegerischen Aufwand erfordern würden (z.B. bei Schizophrenie, schwerer geistiger Behinderung, Demenz). Die Tendenz von Hoches Äußerungen war nicht neu und ist im zeithistorischen Kontext zu sehen (Folgen des I. Weltkriegs, sozioökonomische Engpässe, internationale Verbreitung eugenischer Ideen). Seine Position trug zur Radikalisierung der Diskussionen zur Eugenik in der Weimarer Republik bei. Sie bleibt ethisch hochproblematisch und historisch diskreditiert.
Vorzeitiger Ruhestand und Autobiographie
Hoche wurde im Mai 1933 – angesichts der Ehe mit einer Jüdin – in den Ruhestand versetzt. Seine 1934 erschienene Autobiographie Jahresringe. Innenansicht eines Menschenlebens enthält Impressionen aus seiner Laufbahn, einige Fallberichte und Erörterungen zu ärztlichen Standpunkten.
Hoche schilderte dort im Zusammenhang mit seiner, wie er formulierte, „viel umschrienen Schrift" von 1920 den Fall eines aus unbekannten Gründen akut schwer hirnkranken neunjährigen Mädchens aus seiner Heidelberger Zeit. Ihr Tod sei nur noch eine Frage von Stunden gewesen, der Vater habe die Entlassung gefordert, doch Hoche (1934, S. 290) habe „während die Saalschwester beim Essen war ... mit einer gefüllten Spritze in der Hand" die vorzeitige Tötung des Kindes mit Morphium erwogen, um sie sezieren zu können, sah aber letztlich davon ab. Er folgerte: „... ich lehne den Standpunkt ab, daß der Arzt die bedingungslose Pflicht hat, Leben zu verlängern; ich bin überzeugt, daß sich, allen selbstsicheren Inhabern der Moral zum Trotz, die höhere Auffassung durchsetzen wird: es gibt Umstände, unter denen für den Arzt das Töten kein Verbrechen bedeutet."
In Jahresringe berichtete Hoche (1934, S. 242) zudem über ein im März 1921 stattgefundenes Konsilium mit Eugen Bleuler und Ludwig Binswanger zu dessen Patientin Ellen West samt Anmerkungen zu ihrem Suizid. Er starb 1943 in seiner Wahlheimat Baden-Baden.
Literatur
Alfred, Erich [A. E. Hoche] (1920): Deutsche Nacht. Bielefeld: Freiburg.
Alfred, Erich [A. E. Hoche] (1921): Narrenspiel. Bielefeld: Freiburg.
Berrios, G., T. Dening (1991): Alfred Hoche and DSM-III-R. In: Biological Psychiatry 29, (2), S. 93-95.
Bumke, O. (1943): Alfred Erich Hoche. In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 116, (3), S. 339-346.
Dening, T. R., G. E. Berrios (1991): Introduction to Alfred Hoche. The Significance of Symptom Complexes in Psychiatry. In: History of Psychiatry 2, S. 329-333.
Freud, S. (1914): Zur Geschichte der psychoanalytischen Bewegung. In: S. Freud: Gesammelte Werke. Werke aus den Jahren 1913-1917. Bd. 10. Frankfurt am Main: Fischer, S. 43-113.
Gaupp, R. (1943): Alfred Erich Hoche. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 176, (1), S. 1-6.
Hafner, K.H., Winau, R. (1974): Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Eine Untersuchung zu der Schrift von Karl Binding und Alfred Hoche. In: Medizinhistorisches Journal 9, (3/4), S. 227-254.
Haehling von Lanzenauer, R. (2012): Zwischen Gelehrtheit und Euthanasie. Alfred Hoche. In: Journal der Juristischen Zeitgeschichte 13, (1), S. 267-288.
Hardy, S. (2013): Deutsche Vaterlandspartei (DVLP), 1917/18. In: Historisches Lexikon Bayerns. URL: http://www.historisches-lexikon-bayerns.de/artikel/artikel_44862
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Hoche, A. E. (1902): Die Differentialdiagnose zwischen Epilepsie und Hysterie. Berlin: Hirschwald.
Hoche, A. (1906): Kritisches zur psychiatrischen Formenlehre. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie 63, S. 559-563.
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Hoche, A., A. Alzheimer (1912). Die Bedeutung der Symptomenkomplexe in der Psychiatrie, besonders im Hinblick aus das manisch-depressive Irresein. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie (Referate und Ergebnisse) 5, S. 804-810.
Hoche, A. (1912): Die Bedeutung der Symptomenkomplexe in der Psychiatrie. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie 12, S. 540-551.
Hoche, A. (1915): Krieg und Seelenleben. Freiburg/Leipzig: Speyer & Kaerner.
Hoche, A., K. Binding (1920): Die Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Ihr Maß und ihre Form. Leipzig: Meiner.
Hoche, A. (1918): Politische Denkfehler. Vortrag gehalten in Dresden am 23. April 1918. Dresden: Lehmann.
Hoche, A. E. (1923): Selbstdarstellung [Nachdruck]. In: E. Lischka, A. Leonhardt: Wenn Hörbehinderte psychisch krank werden (Uchtspringer Schriften zur Psychiatrie, Neurologie, Schlafmedizin, Psychologie und Psychoanalyse, Bd. 2). Uchtspringe: Sigmund-Freud-Zentrum 2004, S. 131-152.
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Hoche, A. E. (1933): Die Wunder der Therese Neumann von Konnersreuth. München: Lehmann.
Hoche, A. (1934): Jahresringe. Innenansicht eines Menschenlebens. München: Lehmann.
Hoche, A. (1935): Aus der Werkstatt. München: Lehmann.
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Hoche, A. E. (1938): Tagebuch des Gefangenen. Dresden: Wilhelm Heyne Verlag.
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Mommsen, W. J., G. Hübinger (1984): „Gegen die Vaterlandspartei“. Editorischer Bericht. In: Max Weber Gesamtausgabe, Bd. 15. Max Weber. Zur Politik im ersten Weltkrieg. Reden und Schriften 1914-1918. Tübingen: Mohr, S. 767-768.
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Schimmelpenning, G. W. (1990): Alfred Erich Hoche. Das wissenschaftliche Werk: “Mittelmässigkeit“? (Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft der Wissenschaften). Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht.
Burkhart Brückner, Julian Schwarz
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Zitierweise
Julian Schwarz, Burkhart Brückner (2015):
Hoche, Alfred.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL:
biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/53-hoche-alfred-erich
(Stand vom:03.10.2024)