Binswanger, Otto Ludwig
Nachname:
Binswanger
Vorname:
Otto Ludwig
Epoche:
19. Jahrhundert
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Neurologie
Psychiatrie
Geburtsort:
Scherzingen (CHE)
* 14.10.1852
† 15.07.1929
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Schweizer Neuropsychiater.

 

Otto Binswanger (1852-1929) wurde im schweizerischen Münsterlingen geboren. Er war der Sohn von Ludwig Binswanger (dem Älteren, 1820-1880). Letzterer gründete die private Irrenheilanstalt „Bellevue” in Kreuzlingen, dessen Leitung später sein Sohn Robert (1850-1910) übernahm. Ludwig Binswanger (der Jüngere, 1881-1966) der durch sein Konzept der Daseinsanalyse bekannt wurde, war einer von Roberts Söhnen.

 

Otto Binswanger studierte Medizin in Heidelberg, Straßburg und Zürich. Nachdem er kurzzeitig im väterlichen Sanatorium Bellevue aushalf, wechselte er 1875 nach Wien in die Klinik von Theodor Meynert, wo er vor allem hirnanatomische Kenntnisse erwarb. Nach einem Aufenthalt in Göttingen bei Ludwig Meyer (1827-1900) war er von 1877 bis 1880 als Assistent am pathologischen Institut in Breslau tätig. Ab 1880 arbeitete er unter Carl Westphal als Oberarzt an der Psychiatrischen Klinik der Berliner Charité. Binswanger (1882) habilitierte sich mit einer Arbeit Ueber eine Missbildung des Gehirns und folgte im selben Jahr einem Ruf nach Jena – zunächst als außerordentlicher Professor, später als Direktor der städtischen Irrenanstalt. Dort blieb er 37 Jahre lang tätig. Nach seiner Emeritierung zog er zurück in die Schweiz, wo er 1929 verstarb.

 

Wissenschaftliches Werk

In der ersten Hälfte seiner Schaffensperiode lag Binswangers Schwerpunkt auf der histopathologischen Forschung zur progressiven Paralyse und anderen organischen Hirnkrankheiten. Zu erwähnen ist die von ihm 1894 beschriebene und nach ihm benannte chronisch-progressive subkortikale Encephalitis (Morbus Binswanger oder Binswanger-Demenz). 1899 veröffentlichte er die erste umfassende deutschsprachige Monographie über das neurologische Fachgebiet der Epilepsien. Darin schlug er eine ursachenbezogene Differenzierung zwischen epileptischem Anfall und Epilepsie vor, die für die moderne Epileptologie wegweisend war. Zudem bearbeitete Binswanger psychopathologische Fragestellungen und veröffentlichte Studien zu Neurasthenie (1896) und zur Hysterie (1904).

 

Günther Wagner (1996, S. 145) hat Otto Binswanger als international bedeutenden Kliniker charakterisiert, der viele prominente Patienten behandelte, darunter Friedrich Nietzsche und die Schriftsteller Hans Fallada und Johannes R. Becher. Aus seiner Klinik gingen bekannte Schüler hervor, etwa der Neuroanatom und Psychiater Korbinian Brodmann (1868-1918), der später mit Studien zur Kartierung der Hirnarchitektur bekannt wurde. Binswanger legte besonderen Wert auf die universitäre Lehre und Didaktik und reformierte die psychiatrische Versorgung der Jenaer Klinik. Unter anderem führte er die Arbeitstherapie ein und verbesserte die Lebensbedingungen der Patienten.

 

Eine an Binswanger erinnernde Gedenktafel, die von den Nationalsozialisten 1939 wegen seiner jüdischer Herkunft entfernt worden war, wurde 2012 in Jena wieder eingerichtet.

 

Literatur

Binswanger, O. (1882): Ueber eine Missbildung des Gehirns. In: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin 87, (3), S. 427-476.

Binswanger, O. (1896): Die Pathologie und Therapie der Neurasthenie. Jena: G. Fischer.

Binswanger, O. (1899): Die Epilepsie. Wien: Hölder.

Binswanger, O. (1904): Die Hysterie. Mit 43 Abbildungen und 2 Tafeln. Wien: Hölder.

Binswanger, O., E. Siemerling (1904, Hg): Lehrbuch der Psychiatrie. Jena: G. Fischer.

Binswanger, O. (1914): Die seelischen Wirkungen des Krieges. Stuttgart, Berlin: Deutsche Verlagsanstalt.

Hoff, P. (2002): Otto Binswanger (1852-1929). In: The American Journal of Psychiatry 159, (4), S. 538.

Schneider, R., V. Wieczorek (1991): Historical aspects of neurosciences. Otto Binswanger (1852-1929). In: Journal of the neurological sciences 103, (1), S. 61-64.

Wagner, G. (1996): Otto Binswanger (1852-1929) – Nervenarzt und Kliniker von internationalem Rang. In: Medizinische Ausbildung 13, (1), S.145-155.

Weber, H. (2009): Juristensöhne als Dichter. Hans Fallada, Johannes R. Becher und Georg Heym. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag, S. 46-49.

 

Julian Schwarz

 

Foto: Anonym / Quelle: Wikimedia / gemeinfrei [public domain].

 

Zitierweise
Julian Schwarz (2015): Binswanger, Otto Ludwig.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/114-binswanger-otto-ludwig
(Stand vom:02.05.2024)