Ruth Antonie Klara Schröck wurde 1931 in Berlin geboren. Ihr kommt eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Entwicklung der Pflegewissenschaft und der psychiatrischen Pflege zu.
Beruflicher Werdegang
Nach dem Lehramts-Studium (Biologie, Chemie, Mathematik und Sport) an der Freien Universität Berlin unterrichtete Schröck in Sacré Coeur (Herz Jesu Schule) in Berlin. 1956 entschloss sie sich nach Großbritannien zu gehen, da es ihrer Ansicht nach in den Jahrzehnten unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg für Abiturientinnen in Deutschland nur verhältnismäßig schmale Zukunftswege gebe (Schädle-Deininger 2013, S. 14). In Bristol absolvierte sie die allgemeine Krankenpflegeausbildung und spezialisierte sich in psychiatrischer Pflege. Mitte der 1960er Jahre schloss sie ein pflegewissenschaftliches, philosophisches und sozialwissenschaftliches Studium an der Universität Edinburgh ab. 1969 bis 1971 arbeitete sie als Lehrerin für Pflege in der Psychiatrie im Royal Edinburgh Hospital und von 1971 bis 1978 war sie Dozentin an der Universität Edinburgh Schädle-Deininger 2013 S.286). Dort supervidierte sie Studierende nach ganzheitlichen Konzepten in der Tradition der Therapeutischer Gemeinschaften (Tilley 2005, S. 34). Zudem war sie von 1978 bis 1984 an der Abertay Universität Dundee und für das britische Health and Medical Services Board tätig. 1981 promovierte Schröck (1981) in Edinburgh bei Annie Altschul (1919-2001) und wurde 1984 als Professorin und Leiterin des Fachbereichs Gesundheit und Pflege an der Queen Margaret University berufen. Daraus entstanden zwei einflussreiche Aufsätze zur philosophischen Grundlegung der Pflege (Schröck 1981b, 1981c; vgl. Edwards 2001, S. 4).
1987 ging Schröck zurück nach Deutschland und nahm einen Ruf an die Fachhochschule Osnabrück als Professorin für „Pflege- und Sozialwissenschaften“ an. 1997 wechselte sie nach ihrer Emeritierung an die Universität Witten/Herdecke als Professorin für Pflegewissenschaften und engagierte sich dort bis 2007 insbesondere für das Postgraduiertenprogramm und Doktorandenkolleg bis sie diese Tätigkeit ihrem Nachfolger Wilfried Schnepp (1957–2020) übergab (Schädle-Deininger 2013, S. 286 f.). Sie war zudem Mitglied der Zentralen Arbeitsgruppe Pflegeforschung des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK), Gründungsmitglied und Vorsitzende im Deutschen Verein zur Förderung von Pflegewissenschaft und -forschung (u.a. zusammen mit Hilde Steppe; heute Deutsche Gesellschaft für Pflegewissenschaft e. V. – DGP; vgl. Bartholomeyczik 2019) sowie Mitglied des Beirats der „Stipendien- und Qualifizierungsprogramme Pflege“ der Robert-Bosch-Stiftung und Vorsitzende der Ethikkommission des DBfK. Ruth Schröck starb in Portobello, Edinburgh, am 30. Dezember 2023.
Pflegewissenschaftliche Grundpositionen
Bei einer Tagung in Offenbach 1986 mit dem Titel „Die unbekannte Dimension der Pflegequalität“ konstatierte Ruth Schöck in ihrem Vortrag: „Eine Herausforderung hat in den letzten Jahren nicht nur Diskussionen im deutschen Gesundheits- und Sozialwesen gelenkt und manchmal beherrscht, sondern ist auch zum Tenor einer sozialökonomischen Debatte in allen westlichen Industrieländern seit Mitte der siebziger Jahre geworden: Wieviel Geld, als eine menschliche Gesellschaft in einem spezifischen Staatsgefüge, sind wir fähig und willens für bestimmte Sozialprodukte und -leistungen auszugeben?“ (Schröck in Schädle-Deininger 1990, S. 87). Für sie gehörte die Krankenpflege zu dieser Zeit nicht zu den Berufsgruppen, die ihren Bedarf am lautesten in der Öffentlichkeit reklamieren. Vielmehr sei die Krankenpflege in den vergangenen zwei Dekaden in Deutschland wie auch in anderen europäischen Ländern häufig Irrwege gegangen, die etwa dazu beigetragen hätten, Personalbedarfsberechnungsverfahren zu befördern anstatt inhaltlich anstehende Aspekte zu verfolgen.
1997 bekräftigte Schröck im Eröffnungsvortrag zur ersten „Internationalen Konferenz Pflegetheorien“ in Nürnberg: „Seit etwa 50 Jahren scheint Übereinstimmung zu herrschen, zumindest im englischsprachigen Raum, dass die Pflegeforschung als Instrument der Pflegewissenschaft und als ein Mittel zur Theorieentwicklung der wissenschaftlichen Fundierung der Pflegepraxis dient, die als solche notwendigerweise die wissenschaftliche Disziplin der Pflege informiert und ihr zentrales Anliegen ist. […] Die früheren Pflegetheoretikerinnen waren nicht im Zweifel, dass das Unternehmen Pflegewissenschaft zur Verbesserung der pflegerischen Versorgung der Patienten dienen muss, und stellten dies in einer direkten zugänglichen Weise dar, die eine mögliche ‚Theoriefeindlichkeit‘ eher zu mindern wusste.“ Schädle-Deininger 2013, S. 52). Dementsprechend wies sie auf die Bedeutung der Pflegeforschung hin und erklärte: „Pflegeforschung dient der methodischen Wissensvermehrung in der Praxis der Pflege. Sie befasst sich in erster Linie mit der Effektivität pflegerischen Handelns und mit den dieses Handeln unmittelbar beeinflussenden Faktoren. Auf einer konzeptionellen Grundlage und in einem relevanten theoretischen Rahmen werden Fragen aus der Perspektive der Pflege identifiziert und bearbeitet.“ (Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe 1992; Schädle-Deininger 2013, S. 53).
Die Reduzierung von beruflicher Qualität auf reine Wirtschaftlichkeit war für Ruth Schröck unvereinbar mit dem pflegerischen Berufsethos und doch ging es ihr anderseits auch darum, vorhandene Ressourcen vernünftig einzusetzen und ökonomische Aspekte einzubeziehen. Dass Wissenschaft und Forschung in der Pflege an der alltäglichen Praxis ansetzen (müssen), hat Ruth Schröck immer wieder betont, beispielsweise durch ihre Überlegungen zu „Alltagskompetenz und Pflege“, zur Beziehungsgestaltung oder zu den Versorgungsstrukturen im psychosozialen Bereich. In diesem Kontext forderte sie besseren Transfer von Forschungsergebnissen in die Praxis, mehr fachliche Berichte zur Anwendung von Wissensbeständen, eine breitere kollegiale Vernetzung sowie die Integration von Forschungsarbeiten in Fortbildungen (Schädle-Deininger 1981, S. 91-124; Schädle-Deininger 1990, S. 59-66 und S.87-102). Schröcks Forderung nach mehr Praxisnähe der Wissenschaft ist allerdings im Hinblick auf die Autonomie und nötige Erkenntnisdistanz der Wissenschaft auch kritisch gesehen worden (Bartholomeyczik & Schaeffer 2021, S. 258).
Bei allen pflegerischen Überlegungen hat Ruth Schröck immer auch die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen und eine umfassende Hilfe für in Krisen befindliche, kranke und hilfebedürftige Menschen im Blick gehabt. Politisch Stellung zu beziehen, bedeutete für sie Verantwortung sowohl beruflich als auch bürgerschaftlich zu übernehmen. Sie forderte unermüdlich und nachdrücklich dazu auf, dass die Profession Pflege sowohl berufspolitisch als auch gesundheits-, sozial- und gesellschaftspolitisch sowie bürgerschaftlich Stellung bezieht und zukunftsorientiert den Beruf reflektiert und weiterentwickelt. Die Basis des Berufs bildet nach ihrem Verständnis die Grundhaltung, sich den auf Hilfe und Pflege angewiesenen Menschen zu verpflichten und pflegerische Fachlichkeit ganz selbstverständlich in Kooperation mit anderen Disziplinen zur Verfügung zu stellen.
Psychiatrische Pflege
Für die psychiatrische Pflege hat Schröck bereits in den 1970er Jahren auf Tagungen aufgezeigt, wie wichtig es für den Beruf ist, einen Beitrag zur Entwicklung der Pflegepraxis und der psychosozialen Versorgung zu leisten (z. B. Fortbildung der DZV – Deutschen Zentrale für Volksgesundheitspflege e.V. 1977 in Wunstorf (Schädle-Deininger 2013, S. 84 f.). Sie bekräftigte, dass psychiatrische Pflege nicht im stationären Setting anfange und aufhöre, sondern dass es um eine umfassende Versorgung, Betreuung und Begleitung von Menschen mit psychischen Störungen geht, die durch eine entsprechende Grundhaltung geprägt sein muss. Sie hat die inhaltlichen Diskussionen in der psychiatrischen Pflege von der Praxis aus gesehen und immer wieder hinterfragt, wie, was, wo und warum Pflege dies oder jenes tut und welche Vorteile der einzelne psychisch gestörte Mensch davon hat. Dabei zeigte sie bei Tagungen und Symposien den Pflegenden in Deutschland, wie wichtig theoretische und praktische psychiatrisch-pflegerische Ansätze für den Alltag in einer umfassenden kommunalen psychosozialen Versorgung sind. Zudem beschrieb sie die Praxis, die wissenschaftlichen Grundlagen und deren Weiterentwicklungen durch Forschung im Kontext psychiatrischer Pflege vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen und Tätigkeiten, insbesondere auch in anderen Länder und vor allem in Großbritannien.
Auszeichnungen
1988 Ehrenmitglied der Nursing Studies Association of the University of Edinburgh
1997 Ehrenmitglied des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK)
1998 Ehrendoktorat der University of Glamorgan, Wales
1999 Ehrenmitglied des Deutschen Vereins für Pflegewissenschaft (DGP)
2001 Medaille der Robert Bosch Stiftung
2005 Ehrendoktorat der University of Edinburgh
2007 Ehrendoktorat der Universität Witten/Herdecke
2017 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland
Literatur
Bartholomeyczik, S.; D. Schaeffer (2021): Pflegeforschung in Deutschland – Notwendigkeit einer neuen Agenda. In: I. Darmann-Finck; H. Mertesacker (Hg.): Pflegerische Versorgung alter Menschen. Qualität – Konzepte – Rahmenbedingungen. Berlin, Bern u.a.: Lang, S. 257-279.
Bartholomeyczik, S. (2019): Über die Anfänge der DGP: Die Gründung des Deutschen Vereins zur Förderung von Pflegewissenschaft und -forschung (DVP) vor 30 Jahren. In: Pflege & Gesellschaft 24, (1), S. 5-18.
Borsi, G. M.; R. Schröck (1995): Pflegemanagement im Wandel. Perspektiven und Kontroversen. Berlin, Heidelberg, New York: Springer.
Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) (1992): Was ist Pflegeforschung? Zentrale Arbeitsgruppe Pflegeforschung, Eschborn: DBFK-Bundesverband.
Drerup, E.; R. Schröck (1997): Pflegetheorien in Praxis, Forschung und Lehre. Materialien zur Pflegewissenschaft, Bd. 1. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
Drebes, J.; R. Otten; R. Schröck: (2017). Pflegekammern in Deutschland: Entwicklung – Orientierung – Umsetzung – Perspektiven. Hogrefe Bern.
Edwards, S. D. (2001): Philosophy of Nursing. An Introduction. Houndmills, Basingstoke, New York: Palgrave Macmillan.
Moses, S. (2015): Die Akademisierung der Pflege in Deutschland. Huber: Bern.
Schädle-Deininger, H. (Hg.) (1981): Den psychisch Kranken im Alltag begleiten (Werkstattschriften zur Sozialpsychiatrie, Bd. 31). Reburg-Loccum. Psychiatrie, S. 91-124
Schädle-Deininger, H. (Hg.) (1990): Pflege – Pflege-Not – Pflege-Not-Stand. Entwicklungen psychiatrische Pflege (Werkstattschriften zur Sozialpsychiatrie, Bd. 46). Bonn. Psychiatrie Verlag, S.59-66; S.87-102
Schädle-Deininger, H. (2013) (Hg.): Ruth Schröck – „Es gibt keinen Grund nichts zu tun“- Ausgewählte Werke, Anekdoten und Begegnungssplitter. Bern: Hans Huber, Hogrefe
Schröck, R. (1981): An argument concerning the meaning and relevance of philosophical enquiries in nursing. PhD-Thesis, University of Edinburgh.
Schröck, R. (1981b): Philosophical issues. In: L. Hockey (Hg.): Current Issues in Nursing. Edinburgh: Churchill Livingstone, S. 3-18.
Schröck R., (1981c): Philosophical perspectives. In: J. P. Smith (Hg.): Nursing Science in Nursing Practice: London: Butterworths, A. 170-184.
Schröck, R. in Monika Krohwinkel (Hrsg.): (1992). Der pflegerische Beitrag zur Gesundheit in Forschung und Praxis Entwicklung und Perspektiven der Pflegeforschung. Schriftenreihe des Bundesministeriums für Gesundheit, Band 12, Baden-Baden, Nomos, S. 96-104
Schröck, R.; Haubrock, M.: (1993). Der Einsatz von Berufsrückkehrerinnen: ein Element kreativer Personalplanung. Dokumentation einer Fachtagung des Bundesministeriums für Frauen und Jugend am 13. und 14. Oktober 1992 in Bonn
Schröck, R.: (1997). Bedeutung der Pflegetheorien für die Entwicklung der Pflegewissenschaft in Deutschland. In: Psychiatrische Pflege 3, (3), 1997, S. 167-174.
Schröck, R.: (1997a): Des Kaisers neue Kleider? Bedeutung der Pflegetheorien für die Entwicklung der Pflegewissenschaft in Deutschland. In: Dr. med. Mabuse 22 (Nr. 107), S. 39-45.
Schröck, R.; Drerup E.: (2001). Bangen und Hoffen. Beiträge der Pflegeforschung zu existentiellen Erfahrungen kranker Menschen und ihrer Angehörigen. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
Schröck, R.; Drerup E.: (2002). Der informierte Patient. Beraten, Bilden, Anleiten als pflegerisches Handlungsfeld. Materialien zur Pflegewissenschaft, Bd. 4. Freiburg im Breisgau: Lambertus.
Tilley, S. (2005): Fragile Tradition: Institutionalisation of Knowledge of Psychiatric and Mental Health Nursing in the Department of Nursing Studies, the University of Endinburgh. In: S. Tilley (ed.): Psychiatric and Mental Health Nursing. The Field of Knowledge. Blackwell: Oxford, S. 33-52.
DVD (2012): Deutsche Gesellschaft für Gesundheits- und Pflegewissenschaft mbH (DGGP) mit Unterstützung der Robert-Bosch-Stiftung und des Deutschen Berufsverbandes für Pflegeberufe (DBfK): „Des Kaisers neue Kleider?“ – Bedeutung für die Entwicklung der Pflegewissenschaft in Deutschland – Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Ruth Schröck. www.dggp-online.de
Hilde Schädle-Deininger