Stavros Mentzos (1930-2015) wurde am 13. Mai 1930 in Athen, Griechenland, als Sohn eines Bäckers und einer Fischerin geboren. Er stammt aus einer Arbeiterfamilie und wuchs zwischen 1936 und 1941 unter der Diktatur von Ioannis Metaxas (1871-1941) auf (Naumann 2017, S. 22). Die Erfahrungen während der Diktatur in Griechenland hatten einen prägenden Einfluss auf seine Entwicklung (Münch & Mentzos 2018, S. 25). Nachdem Mussolini 1941 mit der Eroberung Griechenlands scheiterte, wurde Griechenland von der Deutschen Wehrmacht besetzt. Während der deutschen Besatzung litten viele Athener unter starker Hungersnot. Nach eigener Aussage sah Mentzos tagtäglich, wie skelettierte Leichen aus den Häusern transportiert wurden, das habe ihn zum Widerstandskämpfer gemacht (Münch & Mentzos 2018, S. 25). So habe er illegal Nachrichten von der BBC gehört, aufgeschrieben, vervielfältigt und verteilt. Nach dem Abschluss der Schule begann Mentzos in Athen an der Nationalen und Kapodistrias-Universität ein Medizinstudium. Mentzos erwähnte in einem Interview mit Alois Münch, dass er Medizin nicht mit dem Berufsziel Psychiater studiert hatte, sondern weil er Menschen helfen wollte. Während seines Studiums entwickelte sich sein Interesse für Psychiatrie (Münch & Mentzos 2018, S. 26-28). Nach der dreijährigen Wehrpflicht von 1953 bis 1957 als Sanitätsoffizier in seiner Heimat zog er nach Hamburg. Von 1957 bis 1967 war er an der Psychiatrischen Universitätsklinik Hamburg tätig, wo er 1960 promoviert und 1967 habilitiert wurde. Neben seiner Tätigkeit in der Klinik absolvierte er eine Ausbildung als Psychoanalytiker am Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt am Main mit Margarete Mitscherlich (1917-2012) als Lehranalytikerin. Da sein damaliger Vorgesetzter in Hamburg, Hans Bürger-Prinz (1897-1976), ein Gegner der Psychoanalyse war, verheimlichte er den Abschluss der Ausbildung (Engels 2005). Mentzos wechselte anschließend an die Universitätsklinik Frankfurt am Main, wo er drei Jahre als erster Oberarzt arbeitete, bis er 1971 zum Universitätsprofessor berufen wurde und die Leitung der neu gegründeten Abteilung für Psychotherapie und Psychosomatik an der Psychiatrischen Universitätsklinik und den gleichnamigen Lehrstuhl übernahm. 1995 wurde er emeritiert. Mentzos war mit Ro Naumann-Mentzos verheiratet, 1964 wurde ihr Sohn Dominik Mentzos geboren.
Prägende Arbeiten zur Psychoanalyse
Stavros Mentzos hat sich intensiv mit der psychoanalytischen Theorie und Praxis auseinandergesetzt und mehrere bedeutende Werke veröffentlicht, etwa das Lehrbuch der Psychodynamik von 2011. Er war Lehranalytiker der Deutschen Psychoanalytischen Vereinigung und unterstütze Initiativen wie etwa die „Überregionale Weiterbildung in analytischer Psychosentherapie“ in München oder das „Überregionale Symposium für Psychosenpsychotherapie“ des 2011 gegründeten Dachverbands Deutschsprachiger PsychosenPsychotherapie (DDPP). Durch seine Lehrer Hans Bürger-Prinz in Hamburg und Groziki in Frankfurt festigte sich seine Überzeugung, dass man in der Psychiatrie biologische Faktoren mitberücksichtigen sollte (Lempa & Juckel 2015, S. 319). Das Werk von Sigmund Freud war für ihn wegweisend, aber er betonte, dass man die Positionen Freuds erneuern müsse, etwa zur Therapie der Psychosen, aber auch zur Theorie der menschlichen Destruktivität. Er bekräftigte, dass Freud sich in seiner Antwort auf Albert Einsteins Frage „Warum Krieg?“ (Einstein & Freud 1932) zu sehr auf den Todestrieb konzentriert und die Massenmobilisierung für Kriege unzureichend erklärt habe. Freud habe die narzisstische Erfüllung durch Gruppenzugehörigkeit, Externalisierung innerer Konflikte und die manipulative Macht von Feindbildern vernachlässigt, die es Demagogen erleichtern würde, Kriege zu legitimieren und die Zustimmung der Massen zu sichern (Böker 2014, S. 219-224). Außerdem kritisierte Mentzos Freuds reduktionistische Perspektive, die sich auf individuelle Triebe konzentriert und soziale, kulturelle sowie strukturelle Einflüsse auf Krieg und Aggression vernachlässige. Er plädierte für ein umfassenderes Modell, das die Verzahnung zwischen Individuum und Gesellschaft berücksichtigt (Mentzos 1990).
Psychotherapie der Psychosen
Ein Jahr nach seiner Emeritierung gründete Mentzos 1996 mit den ehemaligen Kollegen und wissenschaftlichen Mitarbeitern Günter Lempa, Alois Münch und Elisabeth Troje das Frankfurter Psychoseprojekt, das die Forschung zur Genese, zum Verlauf und zur analytischen Behandlung von Psychosen und schweren Persönlichkeitsstörungen fördern sollte. Mentzos blieb neben Günter Lempa und Ulrich Ertel Vorsitzender und Supervisor des Projekts. Mentzos überschritt in seiner Arbeit sowohl Grenzen der klassischen Psychiatrie als auch der Psychoanalyse, etwa indem er auch Elemente der Verhaltenstherapie in die Therapie integrierte (Engels 2005).
In den Publikationen von Mentzos kann man in den Anfängen eine Anlehnung an die biologische Psychiatrie finden. In seiner Dissertation Die Photostimulation im klinischen EEG von 1960 verglich er die Reaktion von männlichen und weiblichen Gehirnen auf Lichtreize, während seine Habilitation phasische Psychosen behandelte. Danach forschte Mentzos (1997) zur Psychodynamik in zwischenmenschlichen und in sozialen Institutionen. Dabei schlug er bestimmte Konfliktverarbeitungsmodi vor (depressiv, zwanghaft, hysterisch) und lehnte starre Zuordnungen zwischen Konflikt und Krankheit ab. Mentzos entwickelte neue Ansätze, um die sogenannten „endogenen“ Psychosen zu verstehen Seine Behandlungstechnik unterschied sich in Form einer modifizierten analytischen Psychotherapie deutlich von der bei Neurosen angewandten Methodik. Im Zentrum stand dabei seine Theorie der Dilemmata bei der Aufrechterhaltung von Identität („Schizophrenie“) oder Selbstwert („bipolare Störung“) (Lempa & Juckel 2015, S. 319). Mentzos nahm an, dass der Mensch einerseits dazu neigt, eine autonome und selbstständige Identität zu entwickeln, anderseits habe er aber auch die Tendenz zur Bindung, Kommunikation und Solidarität mit anderen. Das Individuum müsse sich lebenslang in dieser Ambivalenz bewegen und in verschiedenen Lebensphasen immer wieder dialektische Konfliktlösungen finden (Lempa & Juckel 2015, S. 319).
Stavros Mentzos entwickelte psychodynamische Modelle, die an neurobiologische Konzepte anschließbar sind. Sein Fokus lag darauf, Psychodynamik, Pharmakotherapie und Verhaltenstherapie zu verbinden. Mit seinem Hauptwerk Psychodynamische Modelle in der Psychiatrie von 1991 bleibt sein wichtigster Verdienst die Weiterentwicklung der psychodynamischen Theorie und Therapie der Psychosen (Lempa & Juckel 2015, S. 319).
Literatur
Böker, H. (2014): Prof. Dr. Stavros Mentzos. In: Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie 62, (3), S. 219–224.
Einstein, A., S. Freud (1932): Warum Krieg? Ein Briefwechsel. Zürich: Diogenes 2005.
Engels, B. (2005): Frankfurter Gesichter: Stavros Mentzos. Frankfurter Allgemeine Zeitung (Nr. 82), S. 62, 09.04.2005.
Heuft, G., Hoffmann, O., Mans, E., Mentzos, S., Schüßler, G. (1997): Die Bedeutung der Biographie im Konzept des Aktualkonflikts. Diskussion der Kommentare zum Beitrag von G. Heuft et al.: Das Konzept des Aktualkonflikts und seiner Bedeutung für die Therapie. In: Zeitschrift für Psychosomatische Medizin und Psychoanalyse 43, (1), S. 34-38.
Lempa, G., Juckel, G. (2015): Nachruf auf Prof. Dr. Stavros Mentzos (1930-2015). Der Nervenarzt 87, (12), S. 319-320.
Mentzos, S. (1960): Die Photostimulation im klinischen EGG. Dissertation. Hamburg: Universität Hamburg.
Mentzos, S. (1967): Mischzustände und mischbildhafte phasische Psychosen. Stuttgart: Ferdinand Enke.
Mentzos, S. (1971): Die Veränderung der Selbstrepräsentanz in der Hysterie: Eine spezifische Form der regressiven De-Symbolisierung. In: Psyche 25, (9), S. 669-684.
Mentzos, S. (1973): Psychoanalyse – Hermeneutik oder Erfahrungswissenschaft? In: Psyche 27, (9), S. 832-849.
Mentzos, S. (1976): Interpersonale und institutionalisierte Abwehr. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Mentzos, S. (1980): Hysterie. Zur Psychodynamik unbewusster Inszenierungen. München: Kindler.
Mentzos, S. (1982): Neurotische Konfliktverarbeitung. Einführung in der psychosozialen Neurosenlehre neuer Perspektive. Frankfurt am Main: Fischer.
Mentzos, S. (1991): Psychodynamische Modelle in der Psychiatrie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mentzos, S. (1990): Der Krieg und seine psychosozialen Funktionen. Frankfurt am Main: Fischer.
Mentzos, S. (2002): Psychoanalyse der Psychosen. In: Psychotherapie im Dialog 3, (3), S. 223.
Mentzos, S. (2006): Entwicklung des Hysteriekonzepts. In: H. Böker: Psychoanalyse und Psychiatrie. Berlin, Heidelberg: Springer, S. 91-102.
Mentzos, S. (2011): Depression und Manie. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mentzos, S. (2011): Lehrbuch der Psychodynamik. Die Funktion der Dysfunktion psychischer Störungen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Mentzos, S., Münch, A. (2014): Reflexionen zu Aspekten einer Theorie der Psychosen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. S. 10-23.
Mentzos, S. (2015): Dilemmatische Gegensätze im Zentrum der Psychodynamik der Psychosen. In: Forum der Psychoanalyse 31, S. 341-352.
Naumann, T., Krause, C. (2017): Psychoanalytisches Verstehen. Von Liebe beseelt und von Wissen geleitet. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Münch, A., S. Mentzos (2017): Stavros Mentzos wird zu seinem 80. Geburtstag von Alois Münch interviewt. In: T. M. Naumann, C. Krause-Girth (Hg.) Psychoanalytisches Verstehen – von Liebe beseelt und von Wissen geleitet. Erinnerungen an Stavros Mentzos. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, S. 24-46.
Schüßler, G., Heuft. G., Hoffmann, S. O., Mans, E., Mentzos, S. (1996): Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD): Konfliktdiagnostik. In: Buchheim, P., Cierpka, M., Seifert, T. (Hg.): Spiel und Zusammenspiel in der Psychotherapie – Erinnern und Entwerfen im psychotherapeutischen Handeln – Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik – Qualitätssicherung. Lindauer Texte. Berlin, Heidelberg: Springer. S. 271-274.
Ariadni Louka