Walser, Robert Otto
Um 1890
Nachname:
Walser
Vorname:
Robert Otto
Epoche:
19. Jahrhundert
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Kunst
Geburtsort:
Bern (CHE)
* 15.04.1878
† 25.12.1956
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Schweizer Schriftsteller.

 

Robert Walser (1878-1956) galt bereits während der Volksschule und im Progymnasium in Biel (Kanton Bern) als Musterschüler und „Schönschreiber“. Nach wirtschaftlichen Krisen in der Familie wurde seine Mutter Elisa als „gemütskrank“ psychiatrisch behandelt und später pflegebedürftig. Da die Eltern das Schulgeld nicht länger tragen konnten, absolvierte Walser von 1892 bis 1895 eine Lehre in Biel bei der Berner Kantonsbank, verdiente sich jedoch dann seinen Unterhalt überwiegend wechselnd und ungelernt. Zudem schrieb er ein emotional intensives, betont lyrisches Frühwerk.

 

Werdegang und literarisches Werk

Schon mit seinen ersten Gedichten von 1898 verzeichnete er Erfolge. Vier Jahre später wurden Fritz Kochers Aufsätze, Der Commis und Ein Maler publiziert. 1903 arbeitete er bei einem Erfinder in Wädenswil am Zürichsee. Impressionen von dort verwendete er in seinem 1908 erschienenen Roman Der Gehülfe. Dieser Roman sowie die Romane Geschwister Tanner und Jakob von Gunten entstanden in seiner Berliner Zeit (1905-1913), in der er sich als Autor zu etablieren versuchte, aber kaum sozialen Halt fand. In Jakob von Gunten griff er seine Erfahrungen als Diener im oberschlesischen Schloss Dambrau auf. Typisch für seine Texte sind Stereotype und servile Ideale, die (klein-) bürgerliche Lebenswelten in der Moderne beschreiben. Ab 1911 isolierte sich der von der Kritik geschätzte, aber kaum publikumswirksame Autor zunehmend, seine Veröffentlichungen wurden seltener. Nach 1913 wohnte er wieder in Biel, doch seine ökonomische Lage wurde prekär. Bis 1921 verfasste er zwei weitere Romane und wechselte zur Kurzprosa. Seine Protagonisten erschienen zunehmend in sich gekehrt, etwa in der 1916 erschienenen Erzählung Der Spaziergang.

 

Walser zog 1921 von Biel nach Bern, wechselte mehrfach die Wohnung und schrieb 1925 den postum veröffentlichten Roman Der Räuber. Das Manuskript gehört zu seinen ersten Mikrogrammen”, mit Bleistift geschriebenen, mikrographisch verkleinerten und kaum entzifferbaren Texten in Kurrentschrift, deren Großteil vor 1929 entstand (vgl. Walser 1985/2000). Im Januar 1929 wurde Walser mit Angstzuständen in die Anstalt Waldau bei Bern eingewiesen, dort wurde eine „Schizophrenie” diagnostiziert. Eine neuere retrospektive Deutung behauptet psychotische Affektveränderungen, Denkstörungen, Autismus, Manierismus, Wahn und Halluzinationen (Partl, Pfuhlmann, Jabs & Stöber 2011). Walter Benjamin (1929, S. 372) notierte im Jahr von Walsers Einweisung zu dessen literarischen Sujets: „ … das Schluchzen ist die Melodie von Walsers Geschwätzigkeit. Es verrät uns, woher seine Lieben kommen. Aus dem Wahnsinn nämlich und nirgendher sonst. Es sind Figuren, die den Wahnsinn hinter sich haben und darum von einer so zerreißenden, so ganz unmenschlichen, unbeirrbaren Oberflächlichkeit bleiben. Will man das Beglückende und Unheimliche, das an ihnen ist, mit einem Worte nennen, so darf man sagen: sie sind alle geheilt.“

 

Leben in der Anstalt Waldau

In der Waldau arbeite Walser weiter an seinen „Mikrogrammen“ auf diversen Unterlagen. Als er 1933 gegen seinen Willen in die Heil- und Pflegeanstalt Herisau verlegt wurde, beendete er die Aufzeichnungen (zur viel diskutierten Frage der Gründe vgl. Gisi 2012). In der sogenannten „ruhigen Beschäftigungstherapie“ klebte er in den folgenden 23 Jahren Papiersäcke und soll sich extrem angepasst verhalten haben (Blum 2003). Als Vormund fungierte letztlich der Publizist Carl Seelig, der Walsers Werk zu erhalten suchte. Am 25. Dezember 1956 verstarb Robert Walser vermutlich an einem Herzinfarkt auf einem seiner täglichen Spaziergänge.

 

Das umfangreiche Werk wird im Robert Walser-Archiv des Robert Walser-Zentrums (Bern) bewahrt und von der Robert Walser-Gesellschaft (Zürich) gepflegt. Verschiedene Texte Walsers wurden verfilmt oder als Hörbuch eingespielt. Er gilt als einer der bedeutendsten deutsch-schweizerischen Schriftsteller der klassischen Moderne.

 

Literatur

Amann, J. (2006): Robert Walser. Eine literarische Biographie in Texten und Bildern. Zürich: Diogenes.

Auer, B. (2005): Geschrieben, aber nicht gedruckt? Quellen zu Robert Walsers Schreibtätigkeit in der Heil- und Pflegeanstalt Herisau. In: Appenzellische Jahrbücher 133, S. 38-41

Benjamin, W. (1929): Robert Walser. In: Illuminationen. Ausgewählte Schriften. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1961, S. 370-375.

Bernhard, E. (2008, Hg.): Robert Walser. Sein Leben in Bildern und Texten. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Blum, I. (2003): Robert Walser: Herisauer Jahre 1933-1956. In: Schweizerische Ärztezeitung 84, (15), S. 688-691.

Borchmeyer, D. (1999, Hg.): Robert Walser und die moderne Poetik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Evans, T. S. (1996, Hg.): Robert Walser and the Visual Arts. New York: City University.

Gigerl, M. (2005): "Lassen Sie ihn weiter hindämmern..." : oder weshalb Robert Walser nicht geheilt wurde. In: Appenzellische Jahrbücher 133, S. 10-23.

Gisi, L. M. (2012). Das Schweigen des Schriftstellers. Robert Walser und das Macht-Wissen der Psychiatrie. In: M. Wernli (Hg.):  Wissen und Nicht-Wissen in der Klinik. Dynamiken der Psychiatrie um (1900). Bielefeld: transcript, S. 231-259.

Greven, J. (1960): Existenz, Welt und reines Sein im Werk Robert Walsers. (Reprint). München: Fink 2009.

Greven, J. (2003): Robert Walser: Ein Außenseiter wird zum Klassiker. Abenteuer einer Wiederentdeckung. Lengwil: Libelle.

Harman, M. (1985, Hg.): Robert Walser Rediscovered. Stories, Fairy-Tale Plays, and Critical Responses. Hanover (NH): University Press of New England.

Knüsel, L. (2005): "Herr Walser hilft stets fleissig in der Hausindustrie. Falzt zusammen mit Herrn Solenthaler Papiersäcke." : Robert Walser in der Arbeitstherapie. In: Appenzellische Jahrbücher 133, S. 24-36.

Partl, S., B. Pfuhlmann, B. Jabs, G. Stöber (2011): Meine Krankheit ist eine Kopfkrankheit, die schwer zu definieren ist. In: Der Nervenarzt 82, (1), S. 67-78.

Seelig, C. (1957): Wanderungen mit Robert Walser. St. Gallen: Tschudy.

Thut, A., C. Walt (2011): „Das muß besser gesagt sein“. Techniken der Überarbeitung in Robert Walsers Mikrographie. In: L. M. Gisi, H. Thüring, I. M. Wirz (Hg.): Schreiben und Streichen. Zu einem Moment produktiver Negativität, Göttingen, Zürich: Wallstein, S. 247-263.

Walser, R. (2003): Aus dem Bleistiftgebiet. Mikrogramme aus den Jahren 1924-1933. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Walser, R. (ab 2011): Kritische Ausgabe. Sämtliche Drucke und Manuskripte. Basel: Schwabe.

Walser, R. (1985/86): Sämtliche Werke in Einzelausgaben. 20 Bde. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Walser, R. (1917): Der Spaziergang. Frauenfeld: Huber.

Walser, R. (1909): Jakob von Gunten. Ein Tagebuch. Berlin: Cassirer.

Walser, R. (1908): Der Gehülfe. Berlin: Cassirer.

Walser, R. (1907): Geschwister Tanner. Berlin: Cassirer.

Walser, R. (1904): Fritz Kocher’s Aufsätze. Leipzig: Insel.

Walser, R. (1925/1972): Der Räuber. In: Sämtliche Werke in Einzelausgaben, Bd. 12. Hg. v. J. Greven. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Wieser, M. (1983): „Erzähl bitte nicht jedem Löl, dass ich hier bin“. Briefe aus der Waldau. In: Die Affenschaukel  2, S. 10-17.

 

Ansgar Fabri, Burkhart Brückner

 

Foto: Unbekannt / Quelle: Wikimedia / gemeinfrei [public domain]. 

 

Zitierweise
Ansgar Fabri, Burkhart Brückner (2015): Walser, Robert Otto.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/59-walser-robert-otto
(Stand vom:20.12.2024)