Nachname:
Herbeck
Vorname:
Ernst
Epoche:
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Kunst
Geburtsort:
Stockerau (AUT)
* 09.10.1920
† 11.09.1991
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(Pseud.: Alexander), österreichischer Schriftsteller und Anstaltsinsasse.

 

Ernst Herbeck (1920-1991) wurde in Stockerau (Niederösterreich) in eine Beamtenfamilie geboren. Aufgrund einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte und trotz mehrfacher Operationen, die letzte 1938, blieben zeitlebens sprachliche und körperliche Benachteiligungen. Nach der Volksschule besuchte er eine Handelsschule und wurde 1939 zu Hilfsarbeiten in einer Rüstungsfabrik verpflichtet. Im August 1940 veranlassten die Eltern eine Anstaltseinweisung, da er Stimmen gehört und sich von einem Mädchen hypnotisiert gefühlt habe. An der Psychiatrischen Universitätsklinik Wien stellte man die Diagnose „Schizophrenie“ und behandelte ihn mit sechzig Insulinschocks. Er fand eine Anstellung in einer Spedition, wurde aber im Januar 1942 abermals eingewiesen und kam in die Landesheil- und Pflegeanstalt Maria Gugging (Klosterneuburg). Im Oktober 1944 folgte die Einberufung in die deutsche Wehrmacht. Erst kurz vor Kriegsende wurde er als wehrdienstuntauglich entlassen. Nach einem erneuten Aufenthalt in Gugging Ende 1945 aufgrund von Tätlichkeiten gegen den Vater und sich selbst sowie einer Behandlung mit zehn Elektroschocks, wurde er im Mai 1946 in Wien von der Polizei aufgegriffen und blieb ab Juli dauerhaft in Gugging. In einer autobiographischen Skizze vom 16. Januar 1970 resümierte er: „Schließlich kam ich in das psychiatrische Krankenhaus, meine Ältern waren an Allem Schuld. Diese fünfundzwanzig Jahre werde ich nie vergessen. Im psychiatrischen Krankenhaus kam ich zur Gärtnerei, wo ich bis zum fünfzigsten Lebensjahr verblieb.“ Laut Leo Navratil (1992, S. 280), seinem behandelnden Psychiater, habe Herbeck sich unter psychopharmakologischer Behandlung in den fünfziger Jahren beruhigt, aber auch bei anhaltenden „Gehörshalluzinationen“ verschlossen.

 

Literarisches Werk

Anfang der sechziger Jahre arbeitete Herbeck auf dem anstaltseigenen Hof in der Landwirtschaft. Bei einer Visite hatte Navratil ihn gebeten, zu diagnostischen Zwecken ein Gedicht mit dem Titel Der Morgen zu schreiben. Herbeck verfasste folgende Zeilen:

 

Im Herbst da reiht

                der Feenwind

da sich im Schnee

die Mähnen treffen,

Amseln pfeifen heer

im Wind und fressen.

 

Navratil erkannte Herbecks‘ literarisches Talent. Jedes Gedicht entstand in einem Frage-Antwort-Spiel, Navratil gab einen Titel vor und Herbeck schrieb. In Klosterneuburg verfasste Herbeck mehr als 1.200 Gedichte und Prosatexte. Ab 1967 arbeitete er in der Bäckerei des Hofes und entwickelte eine Identität als Schriftsteller. Heinar Kipphardt porträtierte ihn 1976 in dem umstrittenen Roman Leben des schizophrenen Dichters Alexander M. 1977 wurde Herbeck Mitglied der Grazer Autorenversammlung. 1980 wurde er auf eigenen Wunsch entlassen und die Entmündigung aufgehoben. Er zog in ein Pflegeheim, kam jedoch 1981 wieder nach Gugging zurück. Dort entstand das Zentrum für Kunst und Psychotherapie (ab 1986 „Haus der Künstler“) mit einer therapeutischen Gemeinschaft, in der Herbeck in einer Gruppe von künstlerisch aktiven Patienten lebte. Navratil (1966, S. 157) veröffentlichte ohne Herbecks‘ Kenntnis Mitte der sechziger Jahre 83 Gedichte unter dem Pseudonym „Alexander“ und resümierte: „Auch in diesen Sprachformen spiegelt sich sein psychisches Kranksein, gleichzeitig aber lassen sie erkennen, daß sein Geist  nicht gestört sein kann.“ Erst 1982 publizierte Herbeck unter eigenen Namen. Am 11. September 1991 starb er im Alter von 70 Jahren.

 

Autoren wie Winfried Georg Sebald, Friedricke Mayröcker, Ernst Jandl und Elfriede Jelinek schätzen Herbecks Poesie. Wolf Biermann (März-Lieder), Michael Hirsch (Das stille Zimmer) oder Wolfgang Rihm (Neue Alexanderlieder) haben Texte vertont. Die Originale seiner Schriften befinden sich in der Österreichischen Nationalbibliothek.

 

Literatur

Herbeck, E. (1970): Mein Leben. In: E. Herbeck, L. Navratil (Hg.) (1992): Im Herbst da reiht der Feenwind. Gesammelte Texte. 1960-1991. Salzburg: Residenz, S. 90-92.

Herbeck, E., O. Tschirtner (1979): Bebende Herzen im Leibe der Hunde. Herausgegeben von Leo Navratil. München: Rogner und Bernhard.

Herbeck, E. (1982): Alexander. Ausgewählte Texte 1961-1981. Salzburg: Residenz.

Herbeck, E. (1992): Im Herbst da reiht der Feenwind. Gesammelte Texte. 1960-1991. Salzburg: Residenz.

Herbeck, E. (2002): Die Vergangenheit ist klar vorbei. Hrsg. von Carl Auer udn Leo Navratil. Wien: Brandstätter.

Herbeck, E.(2013): Der Hase!!!! Ausgewählte Gedichte. Mit einem Nachwort von Gisela Steinlechner. Salzburg: Jung und Jung.

Kipphardt, H. (1976): Leben des schizophrenen Dichters Alexander M. Berlin: Wagenbach.

Navratil, L. (1966): Schizophrenie und Sprache. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Navratil, L. (Hg., 1977): Alexanders poetische Texte. Mit Beiträgen von Otto Breicha. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Navratil, L. (1992): Nachwort. In: E. Herbeck, L. Navratil. (Hg., 1992): Im Herbst da reiht der Feenwind. Gesammelte Texte. 1960-1991. Salzburg: Residenz, S. 205-225.

Navratil, L. (2002): Eine große Psychotherapie der chronischen Schizophrenie. In: Schweizer Archiv für Psychiatrie und Neurologie 153, (2), S. 157-160.

Schütte, U. (2005): Herbeck, nach Kafka. Zur „minderen Literatur“ des schizophrenen Dichters Ernst Herbeck. In: Modern Austrian Literature 38, (3/4), S. 37-63.

Steinlechner, G. (1989): Über die Ver-Rückung der Sprache - analytische Studien zu den Texten Alexanders. Wien: Braumüller.

 

Robin Pape, Burkhart Brückner

 

Zitierweise
Robin Pape, Burkhart Brückner (2015): Herbeck, Ernst.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/50-herbeck-ernst
(Stand vom:26.04.2024)