- Nachname:
- Voigt
- Vorname:
- Lene
- Epoche:
- 20. Jahrhundert
- Arbeitsgebiet:
- Kunst
- Geburtsort:
- Leipzig
- * 02.05.1891
- † 16.07.1962
Voigt, Lene
Mundartdichterin
Lene Voigt (1891-1962), geboren als Helene Alma Wagner, kam in Leipzig zur Welt. Ihr Vater Karl Bruno Wagner († 1917) war Schriftsetzer, nach seinen eigenen Worten aus einem „Gebirgsbauerngeschlecht“, ihre Mutter Alma Maria Wagner (geb. Pleißner; † 1924) stammte „aus Akademikerkreisen“ (Voigt 1935, zit. nach Schütte 1990, S. 125). Nach sechs Jahren Volksschule arbeitete sie zwei Jahre lang als Kindermädchen, besuchte zwischen 1905 und 1910 eine Schule für Erzieherinnen und wechselte schließlich in eine Buchhandelslehre. Sie arbeitete später als Verlagskontoristin und Buchhalterin in bekannten Leipziger Verlagen (z.B. im Teubner Verlag oder im Insel-Verlag; vgl. Berger 2017; Hofmann 2014, S. 89; Müller 2013).
Erfolge in der Weimarer Republik
Bereits mit 15 Jahren veröffentlichte Lene Voigt 1906 ihre erste Humoreske, später publizierte sie im gesamten linken Blätterwald der Weimarer Republik (Buhl & Gohlis 2011, S. 98; Pauls & Ufer 2015, S. 49 ff.). Sie schrieb in hochdeutscher Sprache, aber auch in sächsischer Mundart. Über ihren Stil sagte sie: „Ich umwickele die Pfeile meines Spotts fein säuberlich mit sterilisierter Watte, auf dass sie nicht verletzen. Denn das ist nicht meine Absicht.“ (Voigt 1935, zit. nach Schütte, 1990, S. 126). Ihre Ehe mit dem Musiker Friedrich Otto Voigt (1890-1976) hielt nur von 1914 bis 1920 (Berger 2017; Hofmann 2014, S. 89). Ihr gemeinsamer Sohn Alfred (1919-1924) starb bereits mit fünf Jahren an einer Hirnhautentzündung und ihre große Liebe, der arbeitslose Opernsänger und Anarchist Karl Geil, starb 1929 nach nur drei gemeinsamen Jahren (Berger 2017). Nach diesen Schicksalsschlägen zog sie 1929 nach Bremen. In ihrem 1934 erschienenen Büchlein Vom Pleißestrand nach Helgoland heißt es: „Bremen sehen und lieben war eins.“ (zit. nach Schütte 1990, S. 128). In Bremen hatte sie ihre wohl schönste und produktivste Zeit, zwischen 1925 und 1935 veröffentlichte sie zwölf Bücher, sehr bekannt wurden ihre Säk`schen Glassiger als Nachdichtungen deutscher Klassiker.
Publikationsverbot im Nationalsozialismus und Nachkriegszeit
1934 setzte Lene Voigt ihre häufigen Wohnungswechsel fort und zog nach Aufenthalten in mehreren norddeutschen Städten sowie München wieder nach Leipzig (Pauls & Ufer 2015, S. 49 ff.). Zuhause war sie nirgendwo. Leichte Depressionen seit 1928 schwächten ihre psychische Konstitution und 1936 führten deutliche Verfolgungsängste zu einem ersten kurzen Psychiatrieaufenthalt in Schleswig (Hofmann 2014, S. 89). Zeitgleich erhielt sie von den Nationalsozialisten Publikationsverbot (Buhl & Gohlis 2011, S. 98), wodurch sie so gut wie keine Einkünfte mehr erzielen konnte. Ihre Dialektdichtung wurde als „jiddisch diffamiert“ und als „unheldisch angesehen“ (Hofmann 2014, S. 89). Weitere Krankenhausaufenthalte folgten. Ab 1940 arbeitete Lene Voigt in Leipzig in einer Druckerei und dann auch wieder als Verlagsbuchhalterin bei Lange & Meuche.
In der Nachkriegszeit erfüllte sich ihre Hoffnung auf weitere Anerkennung nicht. Vielmehr wurde sie auch in der DDR lange totgeschwiegen, Schriftgut im sächsischen Dialekt war nicht erwünscht (Buhl & Gohlis 2011, S. 93; Hofmann 2014, S. 90; Schramm 2002, S. 100). Bis in die 1980er Jahre hinein erfolgte keine Veröffentlichung, was Hofmann (2017, S. 89) in einen Zusammenhang mit dem damaligen Staatsratsvorsitzenden, dem „stark sächselnden und unbeliebten Leipziger Walter Ulbricht“ bringt. Doch 1983 gab Wolfgang U. Schütte die Broschüre Bargarohle, Bärchschaft un sächs'sches Ginsdlrblud mit Texten von Lene Voigt heraus, danach folgten weitere kleine Veröffentlichungen und 1984 ein Programm im Leipziger Kabarett „academixer“. Nach 1990 begann die neugegründete Sachsenbuch-Verlagsgesellschaft Voigts Werk zu publizieren.
14 Jahre Psychiatrieaufenthalte
Am 11. Juli 1946 wurde Lene Voigt in die zu dieser Zeit überfüllte und personell unterbesetzte Leipziger Universitäts-Nervenklinik eingewiesen. Thomas R. Müller (2013) hat ihre Patientenakte gefunden und im historischen Kontext untersucht. Laut dem Arzt, der sie aufgrund eines „schizophrenen Erregungszustandes“ einwies, habe ihre Hauswirtin sie verängstigt vorgefunden. Voigt selbst habe gravierende finanzielle Probleme angegeben: „Wenn ich Sorgen habe, dann verliere ich das Köpfchen“. Dem Personal galt sie häufig als „unruhig“ und verwirrt, laut der Akte wurde sie mit Elektrokrampftherapie sowie Barbituraten und auch Fixierungen behandelt. Zwei Wochen nach der Aufnahme verlegte man Voigt vom 26. Juli 1946 bis zum 24. Februar 1947 in die Landesheilanstalt Altscherbitz, die 1947 mit 887 Todesfällen bzw. 38 % aller Patienten eine extrem hohe Sterblichkeitsrate aufgrund der Mangelversorgung aufwies (Müller 2013, S. 115). Nach der Entlassung arbeitete Voigt in der Lebensmittelkartenstelle beim Rat des Kreises Leipziger-Land.
Zwei Jahre später wurde sie am 11. Juli 1949 in offenbar verwirrtem Zustand in die Landesheilanstalt Leipzig-Dösen eingewiesen. Dort stabilisierte sie sich rasch, traute sich aber offenbar die Möglichkeit eines selbständigen Lebens außerhalb der Klinik nicht mehr zu. Sie lebte bis zu ihrem Lebensende in der Anstalt und half dort als Buchhalterin und Botin. In Oktavheften notierte sie ihre alten Texte und verschenkte sie mitunter. Zu Festen und besonderen Gelegenheiten verfasste sie auch neue Gelegenheitsgedichte über das Alltagsleben in Dösen. Der ehemalige Chefarzt Dietfried Müller-Hegemann (1910-1989, vgl. Steinberg 2018) berichtete in seinem Lehrbuch Neurologie und Psychiatrie von 1966, dass eine Patientin – zweifellos Lene Voigt – ihm 1954 zu seinem Abschied das Gedicht Wir „armen Irren" geschenkt habe, was ihn bewog, die Diagnose „Schizophrenie“ zugunsten der Einschätzung „reaktive Psychose“ zu revidieren. Nach Müller (2013, S. 116) sei 1960 ein Antrag auf Aufnahme in ein Altersheim, in dem sie ihren Lebensabend verbringen wollte (Fritz-Austel-Heim, Leipzig-Connewitz), nicht bewilligt worden. Voigts (2010) zahlreiche nachgelassene Gedichte geben Einblicke in den damaligen Anstaltsalltag, ihre Erfahrungen bei Ausflügen und Festen der Klinik mit strenger Geschlechtertrennung und zeigen die Bedeutung der Patientenarbeit (Müller 2013).
Nachwirkung
Lene Voigt starb am 16. Juli 1962 in der Heilanstalt Leipzig-Dösen (Berger 2017; Müller 2013, S. 116). Auf dem erst 1985 aus Spenden gesetzten Grabstein auf dem Leipziger Südfriedhof (Hofmann 2014, S. 89 f.) finden sich Zeilen aus einem ihrer berühmtesten Gedichte Unverwüstlich (1935): „Was Sachsen sin / von echtem Schlaach / die sin nich / dod zu griechn ...“.
Nach den ersten Wiederveröffentlichungen von Voigts Texten ab 1983 in der DDR wurde ihr Werk nach der Vereinigung beider deutscher Staaten 1990 zunehmend zur Kenntnis genommen. In Leipzig gründete Wolfgang U. Schütte 1989/90 die Lene-Voigt-Gesellschaft, die Lesungen organisiert und in Vortragswettbewerben als Preis u.a. die „Gaffeeganne“ verleiht. Der Kinderarzt Wilhelm Johannes Oehme (1915-2009) erinnerte 1999 in seinen Memoiren folgendermaßen an ihre Klassiker-Nachdichtungen: „Daneben hat sie auch zahlreiche Gedichte von Schiller und Goethe ins Sächsische übertragen –, nein, nicht übertragen, sondern mit dem ihr eigenen Humor geändert oder ergänzt.“ (S. 50). In Leipzig wurden ein Park, eine Straße und eine Mittelschule nach Lene Voigt benannt (Hofmann 2014, S. 90). Zwischen 2004 und 2011 gab die Connewitzer Verlagsbuchhandlung eine Werkausgabe in sechs Bänden heraus.
Literatur
Berger, D. (2017): Mit dem Kochlöffel durch die sächsische Geschichte: 25 berühmte Sachsen bitten zu Tisch. Berlin: Bild und Heimat Verlag.
Buhl, S., T. Gohlis (2011): Leipzig. Köln: DuMont Reiseverlag.
Hofmann, R. (2014): Vergessene Kunstwerke: Grabmonumente des Leipziger Südfriedhofes. Berlin: epubli.
Müller, T. R. (2013): Lene Voigt und die Psychiatrie 1946-1962. In: Ärzteblatt Sachsen, Nr. 3, S. 114-117.
Müller-Hegemann, D. (1966): Neurologie und Psychiatrie. Lehrbuch für Studierende und Ärzte. Berlin: Verlag Volk und Gesundheit.
Oehme, W. J. (1999): Fünf Epochen und ein Medizinerleben. Als Kinderarzt in Leipzig, Marburg und Braunschweig. Berlin: Frieling Verlag.
Pauls, T., P. Ufer (2017): Meine Lene: Eine Liebeserklärung an die Dichterin Lene Voigt. Berlin: Aufbau Verlag.
Pauls, T., P. Ufer (2015): Deutschland, deine Sachsen: Eine respektlose Liebeserklärung. Berlin: Aufbau Verlag.
Schramm, M. (2002): Konsum und regionale Identität in Sachsen 1880-2000: die Regionalisierung von Konsumgütern im Spannungsfeld von Nationalisierung und Globalisierung. Stuttgart: Franz Steiner Verlag.
Schütte, M.; W. Schütte (1991, Hg.): Das große Lene-Voigt-Buch. Leipzig: Sachsenbuch.
Schütte, W. U. (1990): Nachwort. In: L. Voigt (1990): Vom Pleissestrand nach Helgoland. Ein lustiges Reisebild. Leipzig: Sachsenbuch, S. 125-133.
Steinberg, H. (2018): Die Karriere des Psychiaters Dietfried Müller-Hegemann (1910–1989). In: Der Nervenarzt 89, (1), S. 78-87.
Voigt, L. (1935): Leibzcher Lindenblieten. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1934): Vom Pleißestrand nach Helgoland. Ein lustiges Reisebild. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1934): Säk’sche Glassigger II. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1934): Die sächsische Odyssee. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1932): In Sachsen gewachsen. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1928): Mir Sachsen – Lauter gleenes Zeich zum Vortragen I/II. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1927): Mally der Familienschreck. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1926): Säk’sche Balladen II. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1925): Säk’sche Glassigger I. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1925): Säk’sche Balladen I. München: A. Bergmann.
Voigt, L. (1983): Bargarohle, Bärchschaft un sächs'sches Ginsdlrblud, lauter gleenes Zeich zum Vortragen und noch etwas mehr. Mit einem Nachwort von Wolfgang U. Schütte und Illustrationen von Renate Herfurth. Leipzig: Zentralhaus.
Voigt, L. (1990): Vom Pleissestrand nach Helgoland. Ein lustiges Reisebild. Mit einem Nachwort von Wolfgang U. Schütte. Leipzig: Sachsenbuch.
Voigt, L. (2004): Mir Sachsen. Lene Voigt Werke, Bd. 1. Hg. von G. Trillhaase, M. Schütte, W. Schütte. Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung.
Voigt, L. (2004): Ich weeß nich, mir isses so gomisch. Alle Säk‘schen Balladen und Glassigger. Lene Voigt Werke, Bd. 2. Hg. von G. Trillhaase, M. Schütte, W. Schütte. Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung.
Voigt, L. (2005): Wird man erstmal gedruckt.... Lene Voigt Werke, Bd. 3. Hg. von G. Trillhaase, M. Schütte, W. Schütte. Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung.
Voigt, L. (2007): In Sachsen gewachsen. Lene Voigt Werke, Bd. 4. Hg. von G. Trillhaase, M. Schütte, W. Schütte. Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung.
Voigt, L. (2007): Mal hier, mal dort. Lene Voigt Werke, Bd. 5. Hg. von G. Trillhaase, M. Schütte, W. Schütte. Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung.
Voigt, L. (2010): Fernes Erinnern. Lene Voigt Werke, Bd. 6. Hg. von G. Trillhaase, M. Schütte, W. Schütte. Leipzig: Connewitzer Verlagsbuchhandlung.
Heike Oldenburg, Annette Baum, Thomas R. Müller, Burkhart Brückner
Foto: Lene-Voigt-Gesellschaft, Copyright. Bildunterschrift aus dem Gedicht Wir "armen Irren" von 1954.
Zitierweise
Heike Oldenburg, Annette Baum, Thomas R. Müller, Burkhart Brückner (2018):
Voigt, Lene.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL:
biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/270-voigt-lene
(Stand vom:23.12.2024)