Pelman, Carl Georg Wilhelm
Nachname:
Pelman
Vorname:
Carl Georg Wilhelm
Epoche:
19. Jahrhundert
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Psychiatrie
Geburtsort:
Bonn
* 24.01.1838
† 21.12.1916
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Rheinländischer Psychiater des 19. Jahrhunderts.

 

Carl Georg Wilhelm Pelman (1838-1916) wurde in Bonn als Sohn von Adolf und Christine Pelman in ein bürgerliches Elternhaus geboren. Sein Vater Adolf Pelman (1795-1861) war Kanzleirat am preußischen Oberbergamt in Bonn (Umpfenbach 1924, S. 144). Seine Mutter Christine Pelman (geb. Marder; 1803-1900), ebenfalls eine Bonnerin, war literarisch sehr begabt und kannte durch ihren Kontakt mit dem Bonner Maikäferbund, einem spätromantischen Dichterkreis, unter anderem das Ehepaar Johanna Kinkel (1810-1858) und Gottfried Kinkel (1815-1882), Georg Herwegh (1817-1875) und Carl Schurz (1829-1906) (Umpfenbach 1924, S. 145). Pelmans Vater war aktives Mitglied im Bonner Karnevalsverein.

 

Frühe Laufbahn

Pelman besuchte bis 1855 das Gymnasium in Bonn (Umpfenbach 1924, S. 145; Schultze 1917, S. 189). Schon in dieser Zeit entwickelte er großes Interesse an der lateinischen und griechischen Literatur, entschied sich jedoch nach dem Abitur für ein Studium der Medizin in Bonn. 1860 promovierte er mit der Dissertation Die medicinische Topographie der Stadt Bonn (Pagel 1901, S. 1268). Während der Studienzeit absolvierte Pelman ein vierwöchiges Praktikum in der auf dem Siegburger Michaelsberg angesiedelten ersten Provinzial-Irrenanstalt der Rheinprovinz unter der Leitung von Friedrich Albert Hoffmann (1820-1863; Pelman 1912, S. 13 ff.; Westphal 1917, S. 536). Die Siegburger Anstalt wurde in den Gebäuden der 1803 aufgelösten Siegburger Abtei unter Leitung von Maximilian Jacobi (1775-1858) gegründet. Im Zentrum stand dort der Anspruch auf Heilung, jedoch war die Aufnahme auch nur auf „heilbare“ Kranke begrenzt (Braun 2009, S. 149). Nach bestandenem Staatsexamen fand Pelman in Siegburg für die Dauer eines Jahres eine Anstellung als Assistenzarzt (Schultze 1917, S. 189).

 

Anfang 1862 wechselte Pelman in gleicher Funktion an eine Privatirrenanstalt in Görlitz und arbeitete unter Karl Ludwig Kahlbaum (1828-1899; Pelman 1912, S. 60 ff.). In Görlitz leistete er ab 1863 seinen einjährigen Militärdienst als Freiwilliger ab und nahm im Krieg gegen Dänemark 1864 als Feldarzt an der Erstürmung der Düppeler Schanzen teil (Pelmann 1912, S. 77 ff.). Nach Kriegsende kehrte er nach Siegburg zurück, wo er ab dem 23. September 1864 zunächst als Assistenzarzt und von 1866 bis 1871 als zweiter Arzt tätig war (Schultze 1917, S. 189). Während seiner Zeit in Siegburg unternahm Pelman eine größere Studienreise nach Frankreich und England, deren Eindrücke er 1871 publizierte. 1867 gründete er mit anderen rheinischen Irrenärzten (u.a. Werner Nasse, Franz Richarz) den Psychiatrischen Verein der Rheinprovinz (Engstrom 2003, S. 43; Umpfenbach 1924, S. 147), dessen Vorsitz er von 1889 bis zu seinem Tod innehatte. In den 1860er Jahren wurden unterschiedliche regionale, psychiatrische Vereine gegründet, „um den Austausch unter den Psychiatern zu fördern, die disziplinäre Etablierung voran zu treiben und das Fach gegenüber Angriffen zu verteidigen“ (Braun 2009, S. 96).

 

Irrenanstalten als „Humanitätsanstalten“

Von 1871 bis 1876 arbeitete Pelman auf Betreiben des preußischen Ministerialdirektors Friedrich Althoff (1839-1908), einem Bonner Studiengenossen, als Leiter der elsässischen Irrenanstalt Stephansfeld (Pelman 1912, S. 80 ff.). In dieser Position erhielt er erstmals die Möglichkeit, seine Behandlungskonzepte in vollem Umfang umsetzen zu können. In seinen Erinnerungen eines alten Irrenarztes von 1912 schilderte er die zur Mitte des 19. Jahrhunderts oft noch gängigen Disziplinarmaßnahmen und Zwangsmethoden und äußerte sich auch über die Anwendung der so genannten „Dusche“: „Bei der Dusche wurde der nackte Kranke auf einen Zwangsstuhl gesetzt und der Oberwärter leitete den Strahl einer Brandspritze auf seinen Rücken, und die Arabesken, die sich unter dem scharfen Strahle in breiten Striemen auf der Haut bildeten, zeugten ebenso von der langen Übung des ausübenden Beamten, wie das Gebrüll des Kranken von den angenehmen Empfindungen, die er dabei empfand“ (Pelman 1912, S. 29 f.).

Pelman griff in Stephansfeld in die zeitgenössische Diskussion des britischen „Non-Restraint“-Prinzips ein, das die Abkehr von mechanischen Zwangsmaßnahmen propagierte (vgl. Conolly 1856; Griesinger 1868), aber sprach sich in seinen Reiseerinnerungen von 1871 auch für die Isolierung von Patienten in frühen Krankheitsphasen aus und äußerte sich skeptisch über die Akzeptanz des Konzeptes in Deutschland (Schmiedebach 2010, S. 19).

 

Pelmans (1912, S. 143) erklärtes Ziel war die Umwandlung der Irrenanstalten in „Humanitätsanstalten". Damit beeinflusste er unter anderem seinen Zeitgenossen Bernhard von Gudden (1824-1886), der in Siegburg Pelmans Konzepte kennen lernte (Häfner 2009, S. 306). Westphal (1917, S. 536) bekräftigte in seinem Nachruf auf Pelman, dass der „nahe persönliche Verkehr … in der patriarchalischen Weise, in der er mit seinem Kranken lebte“ für Pelman die „ideale Auffassung seines Berufs“ gewesen sei. Dies schloss jedoch gleichzeitig die Aufnahme „geisteskranker Verbrecher“ in die von Pelman konzipierten „freien Anstalten" aus. Da sich diese von „Zwang und Strafe" gelöst hätten, plädierte Pelman (1912, S. 143 f.) dafür, die im Verdacht einer Geisteskrankheit stehenden Straftäter in der Obhut des Strafvollzugs zu belassen. Er gilt „als Vater des Konzeptes [der] ‚Zurechnungsfähigkeit‘“ (Maier & Linz, S. 75).

 

Leitung der Heil- und Pflegeanstalt in Bonn und Professur

1876 kehrte Carl Pelman in das Rheinland zurück, übernahm die Leitung der neu eröffneten Provinzial-Irrenanstalt Grafenberg bei Düsseldorf und gründete 1884 den „Düsseldorfer Hülfsverein" (Umpfenbach 1924, S. 146 f.; vgl. Heuser 2003). Er wollte die Situation der Angehörigen der Anstaltskranken verbessern und die „entlassenen Geisteskranken" bei ihrer Wiedereingliederung im Alltag auch finanziell unterstützen (Schultze 1917, S. 191). 1889 wurde er – nicht zuletzt auf Drängen seines Schulfreundes Friedrich Althoffs (Schultze 1917, S. 189) – als Nachfolger von Werner Nasse (1822-1889) zum Direktor der Heil- und Pflegeanstalt Bonn und gleichzeitig zum ersten ordentlichen Professor für Psychiatrie an der Universität Bonn berufen (Umpfenbach 1924, S. 146; Pagel 1901, S. 1268; Schultze 1917, S. 189). Die Bonner Anstalt hatte in den Anfängen mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen, da sie unter anderem auch einen Teil des alten Siegburger Inventars – zum Beispiel Betten älteren Typs – übernehmen musste. Nach dem Urteil von Pelman war die Bonner Anstalt bei seiner Ankunft als Leiter „unpraktisch, unschön und ungemütlich" gebaut. Pelman strebte eine Änderung der Wohn- und Arbeitsbedingungen sowohl für die Patienten als auch für das Personal an. In seiner Funktion als spätberufener Universitätsprofessor fand er in der letzten Phase seines beruflichen Schaffens eine weitere Aufgabe als Lehrer, der mit inhaltlich präzisen und dennoch unterhaltsamen Vorträgen bei den Studenten beliebt war (Schultze 1917, S. 192; Westphal 1917, S. 537). Die Vorlesungen wurden 1909 in seinem populärsten Buch unter dem Titel Psychische Grenzzustände veröffentlicht.

 

1904 trat Pelman in den Ruhestand, den er bei guter Gesundheit (Schultze 1917, S. 189) unter anderem mit literarischen Studien und der Abfassung seiner Lebenserinnerungen in Bonn verbrachte. Carl Pelman starb am 21. Dezember 1916 an einer Lungenentzündung (Schultze 1917, S. 189). Sein Grab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Bonn.

 

Publizistische Tätigkeit

Pelman war langjähriger Mitherausgeber der Allgemeinen Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin sowie Vorstandsmitglied des Deutschen Vereins für Psychiatrie. Er verfasste Beiträge zu Themen wie Irrenrecht, Hirnphysiologie, Alkoholismus und zur Anstaltsverwaltung. 1888 äußerte er sich in dem Aufsatz Über Nervosität und Erziehung zur zeitgenössischen Anlage/Umwelt-Debatte: „Mit dem Überwuchern der grossen Städte nimmt diese Hast des Lebens zu, und das Treiben der Grossstadt, so anregend es auch ist, verbraucht die Nervenkraft in erschreckender Weise“ (Pelman 1888, S. 8). Geistes- und Nervenkrankheiten könnten vererbt werden, doch „weit häufiger als in einer solchen direkten Uebertragung übt die Erkrankung der Eltern insofern einen nachtheiligen Einfluss auf die Nachkommen aus, als sie bei ihnen nicht sowohl eine eigentliche Krankheit, sondern mehr eine angeborene Schwäche des Nervensystems und damit eine Verminderung des Widerstandes herbeiführt, den der normale Mensch gegen die Schädlichkeiten des Lebens mit auf die Welt bringt“ (S. 13). Der Erziehung falle somit „die doppelte Verpflichtung zu, das wieder gut zu machen, was die Geburt verschuldet hat“ (S. 14). Insofern sei das damalige Schulsystem problematisch: „nach den gesetzlichen Bestimmungen beginnt der Schulbesuch schon zu einer Zeit, wo die Schule noch gar kein zweckmässiger Aufenthaltsort für das Kind ist, dem die dort verlangte Unbeweglichkeit, das Stillesitzen und die Aufmerksamkeit durch die Beschaffenheit seiner Organe geradezu untersagt sind“ (S. 18).

 

Pelmans 1912 erschienene Erinnerungen eines alten Irrenarztes sind eine Kombination aus einer Autobiographie, in der er „in Grundstrichen“ sein „Selbstbild gezeichnet“ habe (Umpfenbach 1924, 148; Veltin 1997) und der Geschichte der Irrenheilkunde. Sie gliedern sich in sechs Abschnitte, einleitend zu Siegburg, danach folgt Görlitz und der schleswigsche Feldzug. Anschließend folgen eine chronologische Auflistung seiner Zeit in Stephansfeld, Grafenberg und Bonn.

 

Auszeichnungen

1889: Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina.

1910: Ehrenmitglied des Deutschen Vereins für Psychiatrie.

 

Literatur

Braun, S. (2009): Heilung mit Defekt. Psychiatrische Praxis an den Anstalten Hofheim und Siegburg 1820-1878. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Conolly, J. (1856): The Treatment of the Insane Without Mechanical Restraints. London: Smith, Elder & Co. [Dtsch.: J. Conolly: Die Behandlung der Irren ohne mechanischen Zwang. Schauenburg: Lahr 1869].

Engstrom, E. J. (2009): Clinical Psychiatry in Imperial Germany. A History of Psychiatric Practice. New York: Cornell University Press.

Griesinger, W. (1868): Ueber Irrenanstalten und deren Weiter-Entwicklung in Deutschland. In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 1, (1), S. 8-43.

Häfner, H. (2008): Ein König wird beseitigt. Ludwig II. von Bayern. München: C. H. Beck.

Heuser, M.-L. (2003): Psychiatriehistorischer Rückblick. In: H. Hippius (Hg.): Universitätskolloquien zur Schizophrenie, Bd. 1. Berlin: Springer, S. 127-139.

Maier, W., M. Linz (2004): Geschichte der psychiatrischen Versorgung in Bonn und des Faches Psychiatrie und Psychotherapie an der Bonner Universität. In: H. Hippius (Hg.): Universitätskolloquien zur Schizophrenie, Bd. 2. Berlin: Springer, S. 73-82.

Orth, L., C. Bradl, W. Klenk (1989): Die Irren im Bonn des 19. Jahrhunderts: In: J. Mazerath (Hg.): 54 Kapitel Stadtgeschichte. Bonn: Bouvier, S. 209-216.

Orth, L. (1996): Pass op. sonst küss de bei de Pelman. Das Irrenwesen im Rheinland des 19. Jahrhunderts. Bonn: Verlag Grenzenlos, S. 18-20.

Umpfenbach, F. (1924): Carl Wilhelm Pelman. In: T. Kirchhoff (Hg.): Deutsche Irrenärzte, Bd. 2. Berlin: Springer, S. 144-148.

Pagel, J. (1901): Biographisches Lexikon hervorragender Ärzte des neunzehnten Jahrhunderts. Berlin, Wien: Urban & Schwarzenberg, S. 1268-1269.

Pelman, C. W. (1860): Die medicinische Topographie der Stadt Bonn. Dissertationsschrift. Universität Bonn.

Pelman, C. W. (1862): Elemente der Psychophysik von Gustav Theodor Fechner. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medizin 19, S. 231-256.

Pelman, C. (1871): Reiseerinnerungen aus Frankreich und England. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 27, (1/2), S. 163-186 u. 307-334.

Pelman C. W. (1878): Gehirnphysiologie und Psychologie. In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 8, S. 713-721.

Pelman C. W. (1879): Ideen zur allgemeinen Psychiatrie. In: Allgemeine Zeitschrift für Psychiatrie und psychisch-gerichtliche Medicin 35, S. 463-485.

Pelman, C. W. (1887): Zur Entwicklung des Rheinischen Irrenwesens. In: Der Irrenfreund. Psychiatrische Monatsschrift für praktische Aerzte 29, S. 127-138.

Pelman, C. (1888): Über Nervosität und Erziehung. Bonn: Emil Strauss Verlag.

Pelman, C. (1896). Krafft-Ebing's ‘Lehrbuch der Psychiatrie auf klinischer Grundlage’. In: Deutsche Medizinische Wochenschrift 22, S. 126.

Pelman, C. (1909): Psychische Grenzzustände. Bonn: Cohen.

Pelman, C. (1912): Erinnerungen eines alten Irrenarztes. Bonn: Cohen.

Schmiedebach, H.-P. (2010): Inspecting Great Britain. German Psychiatrist‘s Views of British Asylums in the Second Half of the Nineteenth Century. In: V. Roelcke, P. Weindling, L. Westwood (Hg.): International Relations in Psychiatry: Britain, Germany, and the United States to World War II. Rochester: University Rochester Press, S. 12-29.

Schultze, E. (1917): Carl Pelman. In: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 41, (3), S. 189-192.

Veltin, A. (1997): Carl Pelman: Erinnerungen eines alten Irrenarztes. In: Psychiatrische Praxis 24, (6), S. 304-305.

Westphal, A. (1917): Carl Pelman †. In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten 57, (2), S. 535-540.

 

Linda Orth, Annette Baum

 

Dieser Artikel ist eine erweiterte Version der Erstveröffentlichung im Portal Rheinische Geschichte.

Foto: aus Pagel 1901, Sp. 1268-1269 / Quelle: Wikimedia / Lizenz: public domain.

 

Zitierweise
Linda Orth, Annette Baum (2017): Pelman, Carl Georg Wilhelm.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/268-pelman-carl-georg-wilhelm
(Stand vom:16.11.2024)