Buduls, Hermanis
Nachname:
Buduls
Vorname:
Hermanis
Epoche:
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Psychiatrie
Geburtsort:
Jaunpiebalga (LVA)
* 16.11.1882
† 10.11.1954
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Lettischer Psychiater

 

Hermanis Buduls (1886-1954) wurde am 16. November 1886 in Jaunpiebalga geboren (damals russische Ostseeprovinz, heute Lettland). Sein Vater war Handwerker und Kleinbauer. Buduls wuchs mit acht Geschwistern auf (Vīksna 2002, S. 5). Nach dem Besuch von Gemeinde- und Privatschulen erhielt er am städtischen Gymnasium in Riga die Hochschulreife. Er studierte von 1905 bis 1911 an der medizinischen Fakultät der Universität Dorpat (heute Tartu, Estland). Schon während seiner Studienzeit publizierte er mehrere populärwissenschaftliche Bücher zu psychiatrischen Themen, beeinflusst von Werken somatisch orientierter deutscher Psychiater. Emil Kraepelin hatte zuvor von 1886 bis 1891 in Dorpat gelehrt.

 

Buduls wurde 1912 Mitarbeiter von Professor Vladimirs Čižs (1855-1922), der die Psychopathologie von Literaten erforschte. Als Asisstenzarzt veröffentlichte Buduls (1912) eine Biographie über den Schriftsteller Jānis Poruks (1871-1911), den er bis zu dessen Tod mit betreut hatte. 1914 promovierte er in russischer Sprache zum Thema Über vergleichende Rassenpsychiatrie. Von April 1914 bis zum Kriegsausbruch hielt er sich zu Studienzwecken in der psychiatrischen Klinik der Berliner Charité auf, die damals von Karl Bonhoeffer geleitet wurde.

 

Klinikleiter und akademische Karriere

Während des Ersten Weltkriegs arbeitete Buduls zunächst in einer Nervenheilanstalt in St. Petersburg, später in den Kriegshospitälern von Minsk und Smolensk. Ab 1919 leitete er das 1862 als private Irrenanstalt Rothenberg gegründete und seit 1872 städtische psychiatrische Krankenhaus Sarkankalns in Riga. 1923 führte er dort die ab 1917 von J. Wagner-Jauregg entwickelte Malariaimpfbehandlung des Endstadiums der Neurosyphilis (progressive Paralyse) ein (Libiete 2011, S. 260). 1924 wurde er Gründungspräsident der Lettischen Gesellschaft der Neurologen und Psychiater und übernahm 1926 eine Professur an der medizinischen Fakultät der Universität Lettland.

Buduls galt als ein führender Psychiater seines Landes und veröffentlichte in den zwanziger Jahren das erste lettische Lehrbuch (1. Teil: 1924, 2. Teil 1929) über sein Fach mit dem Titel Psihiatrija (Psychiatrie). Darin führte er „Geisteskrankheiten” konsequent auf biologische Ursachen zurück. Psychotherapien hielt er für nutzlos, den Psychoanalytikern warf er vor, keine Therapieerfolge vorweisen zu können (Buduls 1924, S. 180) und den Sinn von Gesprächen mit psychotischen Patienten bezweifelte er (Buduls 1929, S. 92). Als Publizist beschrieb er in seinem Buch Latvijas galvas pilsētas Rīgas Sarkankalna slimnīcas vēsture (Die Geschichte der Sarkankalns-Klinik der lettischen Hauptstadt Riga) die Geschichte der eigenen Anstalt und recherchierte darin u.a. einige Patientenbiographien (Buduls 1938, S. 194-240).

 

Als Klinikdirektor beauftragte Buduls 1936 Hermanis Saltups (1901-1968), Patienten, die in der Sarkankalns-Klinik als schizophren diagnostiziert worden waren, mit der neuartigen Insulin-Koma-Therapie zu behandeln. Doch bereits nach wenigen Wochen warnte Buduls vor unbegründetem Optimismus. Die Methode erfordere höchste Aufmerksamkeit der Ärzte und könne nur bei starken und ansonsten gesunden Patienten angewendet werden (Libiete 2011, S. 260). Mindestens zwei Patienten starben während der Behandlung (Historisches Staatsarchiv Lettlands, Dokument 2917.1.4 – 48).

 

Eugenik

Buduls befürwortete eine eugenische Bevölkerungspolitik und wollte „schwache“ Individuen von der Fortpflanzung fernhalten (Kuznecovs 2013, S. 149). Er und sein Schüler Verners Kraulis (1904-1944) berieten in den dreißiger Jahren die Regierung bei der Umsetzung eugenischer Programme, die aber moderater blieben als die nationalsozialistischen Gesetze zur Rassenhygiene (Weiß-Wendt & Yeomans 2013, S. 337). In seinem Artikel Rassische Wohlgeborenheit befürwortete Buduls (1936, S. 4) eugenische Strategien, warnte aber vor übertriebenen Erwartungen, da viele Fragen im Hinblick auf die Vererbbarkeit von Geisteskrankheiten ungeklärt seien. Schwer „geistig Erkrankte” befänden sich ohnehin in speziellen Anstalten, wo sie keine Möglichkeit hätten, „Nachkommen zu hinterlassen” und auch jene, die sich außerhalb der Kliniken aufhielten, gründeten in der Regel keine Familien.

Prinzipiell sei laut Buduls gegen Sterilisationen nichts einzuwenden. Er empfahl sie bei Fällen „angeborenen Schwachsinns”, der sich ungewöhnlich oft von Generation zu Generation übertrage. Aber auch in anderen Fällen könnten Sterilisationen hin und wieder ein nützliches Mittel sein, um unerwünschte Erscheinungen sowohl im persönlichen Leben als auch zum Wohle der Nation zu vermeiden.

 

NS-Patientenmorde in Riga

Ab dem 22. Juni 1941 besetzte die deutsche Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg das Territorium der Lettischen Sozialistischen Sowjetrepublik (vgl. Felder 2009). Mehr als 2.300 lettische Psychiatrieinsassen fielen Massenerschießungen der deutschen Besatzer zum Opfer (zu den archivarisch dokumentierten Opferzahlen, s. Vīksne 2003, S. 324-350). Ziel der Aktionen war es, die Anstalten zu leeren, um sie als Kriegslazarette zu verwenden.

Am 1. September 1941 liquidierten SS-Leute 133 jüdische Sarkankalns-Patienten. Lettische Hilfspolizisten überwachten die Massenerschießung. Am 29. Januar 1942 töteten die Besatzer weitere 368 Insassen. Buduls hat versucht, den Massenmord zu verhindern. Als er vom Vorhaben der Besatzer erfuhr, ordnete er an, keine neuen Patienten aufzunehmen und im verstärkten Maß Insassen zu entlassen (vgl. Vīksne 2003, S. 363). Das Klinikpersonal folgte aber dem deutschen Befehl, Patientenlisten zu überreichen. Lettische Hilfspolizisten führten jene Patienten zur Erschießung ab, die sich seit mehr als fünf Jahren in Behandlung befanden.

Die Überlebenden wurden in die verbliebene psychiatrische Anstalt Aleksandra Augstums (Alexanderhöhe) in Riga gebracht. Deren Insassen wurden am 14. April 1942 in den Wald von Biķernieki zur Exekution getrieben. Insgesamt erschossen die SS-Männer 709 Patienten dieser beiden Rigaer Anstalten. 92 Patienten, über die nähere Angaben fehlen, könnten Buduls und seine Angestellten gerettet haben. Buduls wurde am 17. Februar 1942 von der deutschen Besatzungsverwaltung als Direktor entlassen und die Psychiatrie des Sarkankalns-Krankenhauses aufgelöst. Bereits seit dem Oktober 1941 betreuten die Angestellten dort deutsche Soldaten.

 

Medical Liaison Officer in Wiesloch

1944 floh Buduls vor den zurückkehrenden sowjetischen Machthabern, die Letten aus bildungsbürgerlichen Kreisen bedrohten und verfolgten. Er gelangte nach Deutschland und arbeitete ab Juli 1949 im Auftrag der International Refugee Organisation (IRO) an der Heil- und Pflegeanstalt  Wiesloch bei Heidelberg. Als Medical Liaison Officer war er bis 1951 für die Betreuung ausländischer Patienten (u.a. Zwangsarbeiter, Deportierte, Flüchtlinge) zuständig (vgl. Peschke 2006). Buduls stellte offenbar auch Diagnosen seiner deutschen Kollegen in Frage, die sich mit IRO-Patienten aus der Sowjetunion nicht verständigen konnten und versuchte, diese vor der Abschiebung zu bewahren (Damolin 2006). Bis zu seinem Tod am 10. November 1954 hielt er an der Überzeugung fest, dass psychische Störungen grundsätzlich somatische Ursachen hätten (Buduls 1951, S. 3). Hermanis Buduls liegt auf dem Wieslocher Psychiatriegelände begraben.

 

Auszeichnungen:

Drei-Sterne-Orden der Republik Lettland, 3. Klasse.

 

Literatur

Buduls, H. (1909): Laulība un cilvēka dzīves mērķis: bioloģisks un ētisks apcerējums. Rīga: Ed. Zirģelis.

Buduls, H. (1910): Cilvēka nervi, viņu būve un normālās darbibas. Rīga: RLB.

Buduls, H. (1911): Poruku Jānis savas garīgās dzīves krēslainās dienās. Rīga: J. Rozes apgāds.

Buduls, H. (1912): Nervu veselības kopšana. Rīga: Ed. Zirģelis.

Buduls, H. (1914): К сравнительной расовой психиатрии: диссертация на степень доктора медицины. Юрьев: Э. Бергман. (Dtsch. Über vergleichende Rassenpsychiatrie. Medizinische Dissertation. Tartu: E. Bergman)

Budul[s], H. (1915): Beitrag zur vergleichenden Rassenpsychiatrie. In: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie 37, S. 199-204.

Buduls, H. (1923): Par alkoholismu. Rīga: RPD Žūpības apkarošanas komis.

Buduls, H. (1924): Psīchiatrija, vispārīgā daļa. Rīga: Valters un Rapa.

Buduls, H. (1925): Poruka dvēseles noskaņas krēslainās dienās. Rīga: J. Rozes apgādībā.

Buduls, H. (1929): Psīchiatrija: speciālā daļa. Rīga: Valters un Rapa.

Buduls, H. (1931): Nervu veselības kopšanas skolas gados. Rīga: Izdevis A. Gulbis.

Buduls, H. (1936): Rases labdzimtība. In: Jaunākas Ziņas, Nr. 125, S. 4.

Buduls, H. (1938): Latvijas galvas pilsētas Rīgas Sarkankalna slimnīcas vēsture. Rīga: Pilsētas valdes izdevums.

Buduls, H. (1950): Veseliga dzīve: cilvēka organisma uzbūve un kopšana. Stockholm: Daugava.

Buduls, H. (1951): [Interview]. In: Laiks, Nr. 38, 20.5.1951, S. 3

Buduls, H. (1954): Cilvēks dzīves spogulī. Stockholm: Daugava.

Buduls H. (1978): Prof. Dr. Med. Hermana Buduļa Autobiogrāfija. In: LĀZA Apkārtraksts, Nr. 115, S. 28-30.

Damolin, M. (2006): Die Vergessenen des Weltkriegs. IRO-Patienten in Wiesloch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 291, 16. 12. 2006, S. 3.

Felder, B. M. (2009): Lettland im Zweiten Weltkrieg. Zwischen sowjetischen und deutschen Besatzern 1940-1946. Paderborn: Schöningh.

Kuznecovs, V. (2013): Latvian Psychiatry and Medical Legislation of the 1930s and the German Sterilisation Law. In: B. M. Felder, P. J. Weindling (Hg.): Baltic Eugenics: Bio-Politics, Race and Nation in Interwar Estonia, Latvia and Lithuania 1918-1940. Amsterdam, New York: Rudopi, S. 147-168.

Lībiete, I. (2011): Fighting Schizophrenia: Beginnings of Somatic Treatments in Psychiatry in Riga Sarkankalns Hospital in the 1930s. In: Baltic Journal of European Studies 1, (1), S. 257-268.

Lībiete, I. (2011a): Latvijas Universitātes Psihiatrijas katedras izveide un darbība 20.gadsimta 20. gados. In: Ilgonis I. Vilks (Hg.): Zinātņu vēsture un muzejniecība. Latvijas Universitātes Raksti, 763. Sējums, Rīga: Latvijas Universitāte, S. 54-64.

Lībiete, I. (2014) Psihiatrijas attīstība Latvijā no 1918. līdz 1940. gadam. Doktora disertācija. Rīga: Rīgas Stradiņa universitāte.

Lībiete, I. (2014a): Development of Psychiatry in Latvia between 1918 and 1940. Summary of the Doctoral Thesis. Specialty - History of Medicine. Riga: Rīgas Stradiņa universitāte. URL: http://www.rsu.lv/eng/images/Documents/Doctoral_theses/ILibiete_Summary_EN.pdf

Peschke, F. E. (2006): Schicksal und Geschichte der Zwangsarbeiter, Ostarbeiter, "Displaced Persons" und "Heimatlosen Ausländer" in der Heil- und Pflegeanstalt, dem Mental Hospital, dem Psychiatrischen Landeskrankenhaus Wiesloch und dem Psychiatrischen Zentrum Nordbaden. Husum: Matthiesen.

Vīksna, A. (2002): Profesors Hermanis Buduls. Riga: Medicīnas vēstures muzejs.

Vīksne, R. (2003): Garīgi slimo iznīcināšana Latvijā nacistikās okupācijas laikā. In: A. Caune (Hg.): The Issues of the Holocaust Research in Latvia. Reports of an International Seminar, 29 November 2001, Riga and the Holocaust Studies in Latvia in 2001-2002 (Symposium of the Commission of the Historians of Latvia, Volume 8). Rīga: Latvijas vēstures institūta apgāds, S. 324-347.

Weiß-Wendt, A., R. Yeomans (2013): Racial Science in Hitler`s New Europe 1938-1945. Lincoln: University of Nebraska Press.

 

Udo Bongartz

 

Foto: Unbekannt / Quelle: Wikimedia / gemeinfrei [public domain].

 

Zitierweise
Udo Bongartz (2016): Buduls, Hermanis.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/231-buduls-hermanis2
(Stand vom:20.04.2024)