Gogh, Vincent Willem van
Nachname:
Gogh
Vorname:
Vincent Willem van
Epoche:
19. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Kunst
Geburtsort:
Groot-Zundert (NLD)
* 30.03.1853
† 29.07.1890
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Niederländischer, postimpressionistischer Künstler.

 

Vincent van Gogh (1853-1890) wurde in Groot Zundert als ältester Sohn des Pfarrers Theodorus van Gogh geboren. Nach Besuch der örtlichen Grundschule und zwischenzeitlich eines Internats sowie der Mittelschule in Tilburg absolvierte er von 1869 bis 1873 auf Vermittlung seines Onkels eine Lehre bei dem Den Haager Kunsthändler Goupil & Cie. Nach Ende der Lehrzeit sollte er in der Londoner Filiale des Unternehmens arbeiten, zeigte sich dort jedoch zunehmend nervös und verstimmt (Strik 1997, S. 402; Hulsker 1980). Sein Arbeitgeber versetzte ihn im Mai 1875 nach Paris. Dort vertiefte er sich in religiöse Studien und wurde immer unzufriedener mit seiner Arbeit, woraufhin ihm sein Arbeitgeber 1876 aufgrund mangelnder geschäftlicher Eignung kündigte. Nach diversen weiteren Etappen ging er im Mai 1877 zum Studium der Theologie nach Amsterdam, gab das Studium jedoch nach einem Jahr wieder auf und wechselte an ein Seminar für Laienprediger in Belgien. Obwohl er auch diesen Kurs nicht abschloss, erhielt er eine Anstellung als Hilfsprediger in der südbelgischen Bergbauregion Borinage bei Mons. Das soziale Elend der Bergarbeiterfamilien berührte ihn zutiefst, aus Solidarität verschenkte er seine gesamte Habe und teilte ihre ärmlichen Lebensbedingungen. Bei seinem Arbeitgeber stieß diese Haltung allerdings nicht auf Zustimmung und er wurde schon im Juli 1878 wieder entlassen.

 

Aufstieg als Künstler

1880 entschloss sich van Gogh, der seit seiner Jugend viel gezeichnet hatte, die Kunst zum Beruf zu machen. Sein jüngerer Bruder Theo, der inzwischen im Kunsthandel tätig war, ermutigte ihn in diesem Vorhaben und unterstützte ihn fortan finanziell. Van Gogh zog 1880 kurzzeitig nach Brüssel und dann zu seinen Eltern nach Etten. Dort verliebte er sich in eine verwitwete Cousine, die seinen Heiratsantrag jedoch ablehnte. Aufgrund seiner Weigerung, die Zurückweisung hinzunehmen, kam es zum familiären Eklat. Im Dezember 1881 zog er nach einem heftigen Streit mit dem Vater nach Den Haag. Zunächst wohnte er bei einem angeheirateten Cousin, dem Maler Anton Mauve, der ihn in die Kunst der Ölmalerei einführte (Naifeh & Smith 2011; Arnold 1993, S. 39 ff.). Die Beziehung van Goghs zu seinem Modell Sien Hoornik, einer unverheirateten Mutter und Gelegenheitsprostituierten, vertiefte den Konflikt mit seiner Familie. 1883 trennte er sich von Hoornik und zog in die Provinz Drenthe und gegen Ende des Jahres nach Nuenen in Nordbrabant, wohin sein Vater inzwischen versetzt worden war. Nachdem er dort knapp zwei Jahre in der Nähe des elterlichen Hauses gelebt und das ländliche Leben in Gemälden und Zeichnungen festgehalten hatte, zog er im November 1885 nach Antwerpen und im Frühjahr 1886 zu seinem Bruder Theo nach Paris. Er hielt sich in Künstlerkreisen auf, lernte unter anderem Paul Gauguin kennen und kosumierte zunehmend Absinth (Arnold 1993: 115 ff.; vgl. Arnold 1988). Im Februar 1888 zog er ins südfranzösische Arles, wohin ihm Gauguin im Oktober folgte. Die Zeit in Arles sollte van Goghs produktivste Periode werden, seine Werke wurden unter französischen Künstlern immer bekannter und auch ausgestellt.

 

Zusammenbrüche

Bis 1890 erlebte van Gogh sechs psychische Zusammenbrüche. Nach einem heftigen Streit mit Gauguin verletzte er sich Weihnachten 1888 schwer am linken Ohr. Trotz zweimaliger Behandlung im Krankenhaus von Arles erkannte er die Krisen nur im Nachhinein als solche. In einem Brief vom 3. Februar beschrieb er seine Erfahrung in Anspielung an das platonische Konzept der mania als „Augenblicke, wo ich von der Begeisterung oder dem Wahnsinn oder der Sehergabe geschüttelt werde, wie ein griechisches Orakel auf seinem Dreifuß.“ (zit. nach Wengler 2014, S. 243). Der junge Krankenhausarzt Félix Rey diagnostizierte eine Epilepsie und behandelte ihn mit einem Brompräparat.

 

Nach Eingaben von Einwohnern, die sich vor dem „rothaarigen Verrückten“ fürchteten, wurde van Gogh im März 1889 zwangsweise ins Hospital von Arles eingewiesen. Zwei Monate später begab er sich freiwillig in die Nervenheilanstalt in St. Rémy-de-Provence (vgl. Pickvance 1986). Während seines rund einjährigen Aufenthaltes dokumentierte er das Leben und Milieu der Anstalt in mehreren Gemälden, insgesamt schuf er in dieser Zeit gut 300 Werke. Ein Jahr später, ab Mai 1890, siedelte er, als geheilt geltend, nach Auvers-sur-Oise nahe Paris um. Dort sollte ihn der Arzt Paul Gachet betreuen. Nach Differenzen mit seinem Bruder Theo Anfang Juli wurde van Gogh am 27. Juli schwer verletzt durch einen offenbar von ihm selbst abgegebenen Pistolenschuss aufgefunden und starb zwei Tage später im Alter von 37 Jahren.

 

Diagnosen

Van Gogh hat 652 Briefe an seinen Bruder und über 250 weitere Briefe hinterlassen. Sie geben einen umfassenden Einblick in seine Lebens- und Gedankenwelt. Van Gogh wollte sein Schicksal bewältigen: „Ich gedenke meinen Beruf als Verrückter ebenso gelassen hinzunehmen wie Degas den Beruf als Notar. Aber ich fühle eben nicht ganz die nötige Kraft, eine solche Rolle zu übernehmen.“ (zit. nach Walther & Metzger 1993, S. 480). Sein Leiden ist in über einhundert wissenschaftlichen Untersuchungen retrospektiv gedeutet worden. Die Diagnosen reichen von „Schizophrenie“ (Jaspers 1922) und „bipolare affektive Störung“ (Carota et al. 2005; Strik 1997; Hemphill 1961) oder reaktive „psychotische Episode“ (Monroe 1978; vgl. Wengler 2013), über „akute intermittierende Porphyrie“ (Arnold 2004), „Menière-Krankheit“ (Arenberg et al. 1990) oder „Alkoholismus“, „Neurosyphilis“ und „Bleivergiftung“ bis hin zu „Temporallappenepilepsie“ (Blumer 2002).

 

Literatur

Arenberg, I. K., L. F. Countryman, L. H. Bernstein, G. E. Shambaugh (1990): Van Gogh had Menière’s disease and not epilepsy. In: Journal of the American Medical Association 264, (4), S. 491-493.

Arnold, W. N. (2004): The Illness of Vincent van Gogh. In: Journal of the History of the Neurosciences 13, (1), S. 22-43.

Arnold, W. N. (1988): Vincent van Gogh and the thujone connection. In: The Journal of the American Medical Association 260, (20), S. 3042-3044.

Arnold, M. (2003): Vincent van Gogh. Gefälschtes Leben, gefälschte Werke. München: Anderland.

Arnold, M. (1995): Van Gogh und seine Vorbilder. München: Prestel.

Arnold, M. (1993): Vincent van Gogh. Biographie. München Kindler.

Badt, K. (1961): Die Farbenlehre van Goghs. Köln: DuMont.

Blumer, D. (2002): The Illness of Vincent van Gogh. In: American Journal of Psychiatry 159, (4), S. 519-526.

Carota, A., G. Iaria, A. Berney (2005): Understanding Van Gogh’s Night: Bipolar Disorder. In: J. Bogousslavsky, F. Boller (Hg.): Neurological Disorders in Famous Artists (Frontiers of Neurology and Neuroscience, Bd. 19), Basel: Karger, S. 121-131.

Faille, J. B. de la (1970): The Works of Vincent van Gogh. His paintings and drawings. Amsterdam: Meulenhoff.

Gilman, S. L. (1982): Seeing the Insane. A Cultural History of Madness and Art in the Western World. New York, Chichester, Brisbane, Toronto, Singapore: Wiley & Sons.

Gogh, V. W. van (1968): Sämtliche Briefe. 6 Bde. Hg. von F. Erpel. Berlin: Henschel.

Grant, N. (2005): Van Gogh. Fränkisch-Crumbach: Edition xxl.

Hemphill, R. E. (1961): The illness of Vincent van Gogh. In: Proceedings of the Royal Society of Medicine 54, (12), S. 1083-1088.

Hulsker, J. (1980): The Complete van Gogh. Oxford: Phaidon.

Hulsker, J. (1990): Vincent and Theo Van Gogh. A Dual Biography. Ann Arbor: Fuller.

Heugten, S. van (2005): Van Gogh. Die Zeichnungen. Stuttgart: Belser.

Jaspers, K. (1922): Strindberg und Van Gogh. Versuch einer pathographischen Analyse unter vergleichender Analyse von Swedenborg und Hölderlin. Bern: Bircher.

Kaufmann, H., R. Wildegans (2008): Van Goghs Ohr. Paul Gauguin und der Pakt des Schweigens. Berlin: Osburg.

Koldehoff, S. (2003): Van Gogh. Mythos und Wirklichkeit. Köln: DuMont.

Koldehoff, S. (2003a): Vincent van Gogh. Reinbek: Rowohlt.

Kraft, H. (2005): Grenzgänger zwischen Kunst und Psychiatrie. Köln: Verlag Deutscher Ärzte.

Monroe, R. R. (1978): The episodic psychoses of Vincent van Gogh. In: Journal of Nervous and Mental Disease 166, (7), S. 480-488.

Nagera, H. (1973): Vincent van Gogh. Psychoanalytische Deutung seines Lebens anhand seiner Briefe. München: Reinhardt.

Naifeh, S., G. W. Smith (2011): Van Gogh. The life. London: Profile.

Nizon, P. (1977): Van Gogh in seinen Briefen. Frankfurt am Main: Insel.

Pickvance,  R.  (1986): Van Gogh in Saint-Rémy and Auvers. New York: Abrams.

Pickvance, R.  (1984): Van Gogh in Arles. New York: Abrams.

Rewald, J. (1957): Von van Gogh bis Gauguin. Die Geschichte des Nachimpressionismus. Köln: DuMont.

Schapiro, M. (1978): Van Gogh. Köln: DuMont.

Schneede, U. M. (2003): Vincent van Gogh. Leben und Werk. München: Beck.

Strik, W. K. (1997): Die psychische Erkrankung Vincent van Goghs. In: Der Nervenarzt 68, (5), S. 401-409.

Sweetman, D. (1990): Van Gogh. His life and his art. New York: Crown.

Thomson, B. (2007): Van Gogh. Gemälde. Die Meisterwerke. Ostfildern: Hatje Cantz.

Tralbaut, M. E. (1969): Van Gogh, le mal aimé. Lausanne: Edita.

Walther, I. F., R. Metzger (1993): Vincent van Gogh. Sämtliche Gemälde. Köln: Benedikt Taschen.

Wengler, B. (2013): Vincent van Gogh in Arles: Eine psychoanalytische Künstler- und Werkinterpretation. Kassel: Kassel University Press.

Wildegans, R. (2007): Van Goghs Ohr. Ein Corpusculum als Corpus Delicti. In: H. Bredekamp (Hg.): Curiosa Poliphili. Leipzig: Seemann, S. 192-198.

 

Burkhart Brückner, Robin Pape

 

Foto: Vincent van Gogh / Quelle: Wikimedia / gemeinfrei [public domain]. 

 

Zitierweise
Robin Pape, Burkhart Brückner (2015): Gogh, Vincent Willem van.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/202-gogh-vincent-willem-van
(Stand vom:19.03.2024)