Kempin­­­-Spyri, Emilie
Nachname:
Kempin­­­-Spyri
Vorname:
Emilie
Epoche:
19. Jahrhundert
20. Jahrhundert
Arbeitsgebiet:
Sonstige
Geburtsort:
Alstetten (CHE)
* 18.03.1853
† 12.04.1901
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Schweizer Juristin und Frauenrechtlerin.

 

Emilie Kempin­­­-Spyri (1853-1901) wurde unter dem Namen Emilie Spyri in Altstetten (ein Quartier der Stadt Zürich) geboren und war das jüngste der acht Kinder von Maria Elise Spyri-Wild und dem evangelischen Pfarrer Johann Ludwig Spyri. Sie ist die Nichte der Kinderbuchautorin Johanna Spyri und heiratete 1875 den Pfarrer und Sozialreformer Walter Kempin, der sie lange Zeit förderte und unterstützte. 1896 trennte sie sich von ihm. Trotz etlicher Widerstände erkämpfte sie sich eine juristische Karriere, konnte jedoch unter den damaligen gesellschaftlichen Bedingungen ihr Potential nie ganz entfalten.

 

Juristische Karriere

Emilie Kempin-Spyri nahm 1883 ihr Jurastudium an der Universität Zürich auf und beendete es 1887 mit ihrer Dissertation Die Haftung des Verkäufers einer fremden Sache. Obwohl sie mit „summa cum laude“abschloss, durfte sie nicht als Anwältin arbeiten, da ihr als Frau das so genannte „Aktivbürgerrecht“ fehlte. Gebunden war dieses Recht an die Bürgerpflicht, Steuern zu zahlen und beim Militär gedient zu haben, was Frauen kategorisch ausschloss.

 

Es folgte eine zermürbende Odyssee mit Stationen in New York, wo Kempin-Spyri 1889 die Emily Kempin Law School (eine private Rechtsschule für Frauen) gründete und leitete. Außerdem arbeitete sie als Dozentin für Gerichtsmedizin am New York Medical College & Hospital for Women, an der juristischen Fakultät der Universität der Stadt New York und an der Women's Law Class, einer Privatschule.

 

Nach ihrer Rückkehr nach Zürich (1891) schloss Kempin-Spyri ihre Habilitation ab, die sie Ende Juni an der Universität Bern einreichte. Im selben Jahr erhielt sie die Lehrbefugnis für römisches, englisches und amerikanisches Recht und verfasste Die Rechtsstellung der Frau (vgl. Meder, Duncker & Czelk 2010, S. 500 ff.). Ihr Antrag, als Anwältin zugelassen zu werden, wurde erneut abgelehnt. 1896 trat Kempin-Spyri eine Lehrtätigkeit für Privatrecht und deutsches Familienrecht an der Humboldt-Akademie in Berlin an. In der beruflich durchaus erfolgreichen Berliner Zeit vertrat sie eher zurückhaltende frauenrechtliche Positionen, verteidigte das Bürgerliche Gesetzbuch und isolierte sich damit zunehmend in der damaligen Frauenbewegung (Rieger 1992, S. 85).

 

Psychiatrieaufenthalt

Ohne stabile soziale Beziehungen, getrennt von den Kindern und in finanziell prekärer Lage, erlitt sie 1897 einen Zusammenbruch. Sie wurde im Sanatorium Berolinum in Berlin-Lankwitz behandelt, flüchtete jedoch von dort und ging über Zürich, wo sie als Patientin an das Burghölzli zu Auguste Forel wollte, nach Basel und ließ sich dort 1899 freiwillig in die Kantonale Heil- und Pflegeanstalt Friedmatt aufnehmen. Nach Aktenlage habe sie an „primärer Verrücktheit“ mit Wahn und Sinnestäuschungen gelitten (Delfosse 1994, S. 17 f.; Redaktion Revue 2011, S. 24). Sie wurde entmündigt und ersuchte weiterhin in Eingaben um eine Verlegung, starb jedoch am 12. April 1901 in Basel mit 48 Jahren an einem vermutlich zu spät erkannten Krebs.

 

Heute ist Emilie Kempin-Spyri als eine der ersten promovierten Juristinnen Europas und als erste habilitierte deutsche Rechtswissenschaftlerin anerkannt (Frühwirth & Strejcek 2012). Die New York University of Law unterhält einen nach ihr benannten Lehrstuhl. 2009 wurde eine Ehrentafel für sie in der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich angebracht.

 

Literatur

Delfosse, M. (1994): Emilie Kempin Spyri (1853-1901). Das Wirken der ersten Schweizer Juristin. Unter besonderer Berücksichtigung ihres Einsatzes für die Rechte der Frau im schweizerischen und deutschen Privatrecht. Zürich: Schulthess Polygraphischer Verlag.

Frühwirth, A., G. Strejcek (2012): Emilie Kempin (1853-1901): Schweizer Pionier-Juristin. In G. Strejcek: Gelebtes Recht. 29 Juristenporträts. Wien: Stämpfli und Österreichische Verlagsgesellschaft, S. 203-211.

Kempin, E. W. (1887): Die Haftung des Verkäufers einer fremden Sache. Inauguraldissertation. Zürich: Zürcher und Furrer.

Kempin, E. (1895): Die Rechtsstellung der Frau. (Der Existenzkampf der Frau im modernen Leben, Bd. 5). Berlin: Taendler.

Kempin, E. (1896): Rechtsbrevier für deutsche Ehefrauen. 52 Merksprüche aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch mit Erläuterungen. Berlin: Heines.

Meder, S., A. Duncker, A. Czelk: (2010; Hg.): Die Rechtsstellung der Frau um 1900, eine kommentierte Quellensammlung. Köln, Weimar: Böhlau Verlag.

Hasler, E. (1991): Die Wachsflügelfrau. Geschichte der Emily Kempin-Spyri. Zürich, Frauenfeld: Nagel & Kimche.

Rieger, E. (1992): Emilie Kempin (1853-1901). ‘Mein Name ist mit dem Odium der Geisteskrankheit behaftet’. In: S. Duda, L. F. Pusch (Hg.): WahnsinnsFrauen. Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 76-95.

Redaktion Revue (2011): Der Zeit voraus. Emilie Kempin-Spyri (1853–1901). In: Revue. Jahresbericht 2011 und Ausblick der universitären psychiatrischen Kliniken Basel, S. 24-25.

 

Ansgar Fabri, Burkhart Brückner

 

Foto: unbekannt / Quelle: Wikimedia. 

 

Zitierweise
Ansgar Fabri, Burkhart Brückner (2015): Kempin­­­-Spyri, Emilie.
In: Biographisches Archiv der Psychiatrie.
URL: biapsy.de/index.php/de/9-biographien-a-z/154-kempin-spyri-emilie
(Stand vom:16.04.2024)